Luara

Jetzt sitze ich hier und schreibe euch, dabei gehöre ich eigentlich auf den Laufsteg. Ich mache Dolly Buster locker Konkurrenz! 
Milcheinschuss…mir stehen die Brüste bis unter das Kinn.
 
Vor drei Tagen kam unsere Tochter Luara auf die Welt. Um 9:04 mit einem stolzen Gewicht von 3330 Gramm, ziemlich viel Haar auf dem Kopf und einer Gelassenheit, die ich euch bei euren Zwergen auch wünsche! 
 
Aber jetzt von vorne… Auch wenn ich damit dem spannenden Ende des Berichts voraus greife, so will ich doch schon verraten, es gibt ein Happy End! 
Ich schreibe euch aus noch frischer Erinnerung und ja, auch noch frischer Erinnerung an den unglaublichen Kraftakt, unvorstellbare Schmerzen und das riesige Glück, es geschafft zu haben. Der Weg war jedoch kein Spaziergang sondern eher die Besteigung des Everest ohne Atemmaske und im Laufschritt, aber mit der richtigen Begleitung! 

 

Um 3:00 Uhr wache ich auf mit einem Plopp. Während ich noch denke, das kann nur eines bedeuten, fließt schon das Wasser. Ohne Ende. Ich springe auf, denke so eine blöde Idee, jetzt läuft ja alles neben das Bett. Renne ins Bad und denke, super, wie bekomme ich das so gestopft, dass ich weiterschlafen kann? Ganz so wie ich es im Geburtsvorbereitungskurs gehört hatte. Inzwischen ist mein Mann auch wach, lacht, und fragt mich ob ich bereit sei. Bin ich übrigens nicht. Trotz meiner Ungeduld der letzten Wochen und obwohl sich den ganzen vorigen Tag schon ob meiner miserablen Laune und der mehrmals in der Stunde wiederholenden Übungswehen die bevorstehende Geburt angekündigt hatte, wollte ich dem Finale dann doch nicht so schnell gegenüber treten. Und wenn dann wenigstens ausgeschlafen und nach gemütlichem Frühstück! 
Ich sage meinem Mann, dass wir nochmal schlafen. Ich rufe meine Hebamme an und kündige ihr an, dass sie sich im Laufe des kommenden Tages auf uns einstellen kann. Sie wünscht eine gute Nacht und sagt, ich solle mich melden sobald die Wehen mit einer Regelmäßigkeit von fünf Minuten einsetzten. 

Um 3:30 Uhr stehe ich auf und tigere durch die Wohnung. Durchfall. Wie im Lehrbuch, der Körper bereitet sich auf Entleerung vor. Ab 4:00 Uhr klingle ich meinen Bruder wach, er soll sich mal darauf einstellen, dass er uns bald fahren muss, schicke ihn aber auch nochmal ins Bett. Ich halte es nicht mehr aus. Wehen im Abstand von vier Minuten, höchstens. Aber durch entspanntes tiefes Atmen noch erträglich. Ich rufe meine Hebamme nochmal an. Während der Wehen kann ich nicht mehr sprechen, aber sie hört mein Atmen und fragt, ob ich noch ein bisschen zu Hause entspannen wolle. Wir verabreden uns auf 5:00 Uhr im Geburtshaus. 
Während mein Mann die bereitgelegten Dinge einpackt, hüpfe ich wieder unter die heiße Dusche. Entspannungsatmen? Vergiss es. Mein Bruder kommt und schon im Treppenhaus und unterwegs im Auto gebe ich Befehl, wer auch immer am nächsten steht, mir auf den unteren Rücken zu drücken. Nicht massieren, nicht bewegen, drücken und Klappe halten. Dazwischen werden trotzdem noch Witze gerissen. 

Im Geburtshaus angekommen helfen die Männer das Bett zu beziehen, wer auch immer in meine Nähe kommt muss Rücken drücken. Meine Hebamme hat schon die Badewanne gefüllt und ich hüpfe rein mit der Erwartung auf Erleichterung. Immerhin die Beine zittern nicht mehr so vor ausstrahlendem Schmerz. Mein Bruder wird entlassen und freut sich sicher ein bisschen. Mein Mann hockt mit einer Tasse Kaffee und Keksen neben der Wanne und muss jedes Intervall mitmachen. Kurzer Versuch zu entspannen, Eröffnungswehen, die mich sofort in der Wanne auf alle viere drehen und er muss den Rücken drücken, wieder entspannen…der Intervall ist bei etwas weniger als drei Minuten zwischen den Wehen. Beim ersten Tasten nach der Öffnung des Muttermundes, sage ich noch, dass ich nur gute Nachrichten hören will. Drei Zentimeter sind meiner Meinung nach keine gute Nachricht. Ich motze. Meine Hebamme lacht und fragt, wie ich mir das vorgestellt habe, es sei ja schließlich mein erstes Kind, da müsse ich schon etwas Geduld beim Dehnen haben. Hab ich aber nicht. Zwar kann ich in den kurzen Pausen entspannen, aber sie sind eben einfach nicht lang genug. Meine Beine zittern, der Schmerz nimmt an Intensität zu. Habe ich anfangs noch beide aus dem Zimmer geschickt, damit ich auf die Toilette gehen kann, so ist meine Schamgrenze inzwischen sehr gesunken. Ich hüpfe einfach tropfend von der Wanne auf den Klositz. Weiter Durchfall. Der Körper will sich entleeren. In jeglicher Hinsicht. 

Leise bin ich auch nicht mehr. Ich motze und will wissen wie lange noch, irgendwie scheint mir niemand ein Ende vorhersagen zu wollen. Ich lache über blöde Witze in den Pausen, bisschen Entspannung muss man versuchen. Ich atme so laut aus, dass inzwischen ein tief tönender Schrei daraus geworden ist. Ich werde für mein Durchhalten gelobt. Ich frage, ob das Geburtshaus schalldicht sei und auf ihr bejahen, wie sie das getestet hätten?
Ich bin inzwischen ziemlich laut. Aber ein tief tönender langer Schrei funktioniert gut zum kontrollierten Ausatmen. Ich fordere eine Pause und werde nicht ernst genommen. Da müsse ich jetzt durch. Inzwischen habe ich eine Akkupunkturnadel im Kopf. Wie schön zu wissen, dass die Herztöne des Kindes immer weiter regelmäßig und stark bleiben. Biest, denke ich, schön, dass du entspannt bist!

Es wird wieder nach der Öffnung des Muttermundes getastet. Die Nachricht gefällt mir wieder nicht. Die Aussicht darauf, dass ich nur noch durchhalten müsse bis zu den Presswehen, die dann mehr Initiative und aktive Mitarbeit erforderten und damit besser kontrollierbar seien, erscheint mir auch nicht einleuchtend. Ich will eine Pause und habe schon jetzt keine Kraft mehr. Mein Mann drückt weiter meinen Rücken. Zu stark, nein, nicht stark genug, autsch ich fühle meine Beine nicht mehr. Intervall bei zwei Minuten. Mein Muttermund verspannt sich. Ich bekomme zwei Zäpfchen. Ich verlange lauter nach einer Pause und will immer noch wissen wie lange noch. Außerdem will ich wissen, was diese blöde Nadel in meinem Kopf eigentlich ausrichten soll.

Übrigens gut, alles mit geschlossenen Augen zu durchleben. Nur die weiterhin ruhige Stimme der Hebamme und der Geruch meines Mannes dringen durch meine Konzentration. 
Plötzlich Aufregung. Der Herzrhythmus meines Mädchens ist gefallen. Der Grund noch nicht klar. Zwischen Schreien kann ich noch sagen, alles in Ordnung ich fühle das Mädchen in mir kicken. Trotzdem raus aus der Wanne, ab ins Bett. Meine Hebamme will das Mädchen besser überwachen. Ich fühle immer noch Kicks, meine Hebamme entspannt sich und ich fühle plötzlich einen ganz neuen Schmerz. Die Wehe packt mich so, dass jede Faser im Körper schieben will. Druck auf den Rücken brauche ich nicht mehr. Der Schmerz ist weg, oder überdeckt. Fremdgesteuert schiebe und presse ich. Meine Hebamme tauscht ihre Hand in meiner gegen die meines Mannes aus. Es ist mir nicht genug, Kissen und Decken zu drücken. Wenn ich leide, dann auch jemand anders.
Meine Hebamme entspannt sich. Der kurze Abfall der Herztöne war wegen der plötzlichen Absenkung durch mein Becken, dem sogenannte Durchtrittseffekt. Mein Muttermund ist offen, ich stecke mitten in den Presswehen. Und wann bekomme ich meine Pause, will ich wissen. Im Schoß meines Mannes liegend quetsche ich eine Hand, die andere zieht mein Bein angewinkelt an die Brust. Pressen, tief schreien, entspannen. Wie lange noch? Irgendwie bekomme ich darauf wohl keine Antwort mehr. 

Die zweite Hebamme schleicht ins Zimmer, setzt sich in die Ecke und dokumentiert den weiteren Verlauf. Tatsächlich bin ich wieder etwas klarer. Ich kann aktiv mitarbeiten und die Presswehe soweit mitbestimmen, dass ich entweder diese überwältigende Kraft mit nutzen kann um zu schieben, oder nur kurz presse und dann ausatme um Kraft für die nächste zu tanken. Mein Mann sitzt auf dem Bett, ich hänge zwischen seinen Beinen und reiße an seinen Armen, mein Hebel wenn ich schiebe. Jetzt habe ich aber doch keine Lust mehr. Er beginnt leise von oben zu kommentieren und Zuspruch zu spenden. Den Kopf habe ich auch schon gefühlt. Die Hebamme tastet nach dem Fortschritt und merkt an, das Mädchen habe meine Haare. Ob ich auch einmal fühlen wolle. Nee, interessiert mich gerade überhaupt nicht. Ich motze das Mädchen nur an, dass es jetzt gefälligst lang genug in meinem Bauch gewesen sei. Komm endlich! Übrigens ist ihr Herzschlag schon lange wieder stabil und gleichmäßig wie eh und je. Na danke für die Mitarbeit. Ich kacke alles voll, kommentiere ich. Meine Hebamme hockt vor mir und sagt, es sei nicht so und selbst wenn würde sie das überhaupt nicht interessieren, ich solle mich jetzt hier auf meinen Job konzentrieren.
 
Ich fühle wieder den Kopf und es gefällt mir gar nicht. Aber jetzt hat mein Mann langsam keine Geduld mehr. Er hat von oben den Kopf gesehen und feuert mich weiter an zu schieben. Meine Hebamme fragt, ob ich einen Spiegel wolle. Nix da, bisher habe ich versucht das Gefühl bereits meinen ganzen Darm herausgepresst zu haben zur Seite zu schieben, schließlich ist das Mädchen der Mittelpunkt, also will ich da wirklich nicht genauer hinschauen.
Der Kopf zerreißt mich. Ich lasse mit dem Schieben nach. Meine Hebamme und mein Mann sprechen sofort Mut zu. Ich reiße weiter an den Armen meines Mannes, schaue nur noch in sein Gesicht, während er anfeuert. Er habe unser Mädchen schon gesehen, nur weiter, noch ein bisschen. Nicht mehr von ihm wegschauen. Ich frage meine Hebamme ob sie mir versprechen könne, dass es vorbei sei, wenn nur der Kopf durch sei. Sie bejaht. Ich lege jede Schwäche zur Seite, warte auf die nächste Wehe und nehme mir vor sie so lange auszunutzen wie nur möglich und schiebe, angefeuert wie bei einem Wettkampf.

Ab aufs Bett, sagt meine Hebamme. Du hast keine Kraft mehr in den Beinen. Also los, wieder in den Schoß meines Mannes liegen. Kurz durchatmen, jetzt bin ich wirklich entschlossen. Ich will nicht mehr. Also nächste Wehe und schieben, schieben, schieben…ich zerreiße, schreie ich. Meine Hebamme verneint und sagt es sehe alles sehr gut aus und weiter. Also weiter. Der Kopf ist durch. Ab auf alle viere, sagt sie. Mache ich. Übrigens hat sie gelogen, es ist nicht zu Ende mit dem Kopf. Aber jetzt bin ich motiviert und schiebe und schiebe mit der nächsten Wehe und mit einem Schwung ist das Mädchen aus meinem Bauch. 
> Verwundert hocke ich im Bett, zwischen meinen Beinen dieses verschmierte Mädchen, das aber ganz eindeutig ein fertiger Mensch ist. Ich greife nach ihr und drücke sie an meinen Bauch und Brust. Komisches Gefühl wie die Nabelschnur noch aus mir heraus zwischen meinen Beinen hängt. Das Mädchen wird ein bisschen abgewischt. Ich entdecke ein klein bisschen Kacke an ihrem Arm. Ich habe die zweite Lüge meiner Hebamme aufgedeckt. Aber böse kann ich ihr wirklich nicht sein.
Jetzt muss ich lachen. Das Mädchen liegt auf meinem Bauch, der Papa neben mir. Es ist 9:04 Uhr. 
Sie hat ihre Augen weit geöffnet, schaut herum und singt ein bisschen. Schreien kann man das wirklich nicht nennen. Wir beschnuppern uns. Nach einiger Zeit, schneidet mein Mann die Nabelschnur durch. Ich lege ihm unser Mädchen auf die Brust. Mein Bauch beginnt schon wieder zu arbeiten. Ich will nicht mehr, sage ich. Nicht noch einmal. Aber dieser Druck ist leicht im Vergleich zu den vorigen Wehen und meine Hebamme zieht sanft an der Nabelschnur mit. Die Nachgeburt war ein Klacks. Alles an einem Stück. Die Kontrolle an mir besagt übrigens auch, dass alles heil geblieben ist, keine Risse, ausschließlich kleinste Kratzer, das Massieren hat sich gelohnt. Nur die Hämorrhoiden werde ich noch ein paar Tage spüren. Wir Zapfen Blut aus der Nabelschnur, ich bin Rhesusfaktor negativ, mal sehen was das Mädchen ist. 
Die strampelt übrigens kräftig auf Papas Bauch herum und schaut und schaut. Hallo, Luara! 
 
Die Hebammen gratulieren und ich kann nur noch lachen. Während Luara das erste mal an meine Brust kommt, geht mein Mann zum Bäcker. Ich habe einen riesen Hunger! Meine Hebamme kocht Kaffee. Ich schreibe der frisch gebackenen Omi, ob sie uns um 12:00 Uhr im Geburtshaus abholen kann. Frühstück, dann schlafen, Kontrolle und Wiegen des Kindes, und schon ist der Abholservice da. Ab nach Hause mit uns.
 
Abends kommt meine Hebamme vorbei und schaut wie es uns geht. Mir fällt ein zu fragen, ob ich eigentlich immer noch die Nadel im Kopf habe.
Uns geht es sehr gut!
 
Diese drei Tage kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Wir richten uns nach dem Rhythmus essen, schlafen, essen…purer Luxus. Luara und wir sind schnell ein eingespieltes Team und auch wenn das Stillen noch viel Geduld von beiden Seiten erwartet, so geben alle ihr bestes und keiner schreit unnötig. Sowieso schreit Luara kaum. Sie nörgelt. Der Grund oft offensichtlich und leicht zu beheben. Ansonsten wirkt Papas Arm Wunder. 

Jeden Tag strömen Besucher über uns herein. Stress keineswegs. Luara ist egal auf welchem Arm sie schläft und ich stehe ebenfalls einfach nicht aus dem Bett auf. Empfangen wie eine Königin. Obwohl der Star ganz klar die Prinzessin ist. 
 
Mein Bericht ist etwas ausgeartet in seiner Länge und vielleicht auch im Detail. Ein sehr persönlicher Bericht, von dem ich hoffe, dass er euch allen Mut macht, ein bisschen die Ungeduld in euch weiter anstachelt und auf jeden Fall zum Ziel haben soll, dass ihr auch bald eure Wunder in den Armen halten werdet. 

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