Ungeplante Hausgeburt – das Schönste, was passieren konnte
Ich hatte ungefähr tausendmillionen Geburtsberichte hinter mir. Ich wollte ganz genau wissen, wie eine Geburt ist; wie sich Wehen anfühlen; wie es ist, wenn der Kopf durch den Scheideneingang tritt (in meiner Vorstellung: unvorstellbar schmerzhaft).
Trotzdem war ich bis zum Schluss der Schwangerschaft skeptisch: Wird da wirklich ein Baby aus mir herauskommen? Eher unwahrscheinlich. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Dabei hatte ich unseren Kleinen ja gesehen auf dem Ultraschall, hatte Bilder davon. Ich sah meinen Bauch wachsen, konnte jeden Tag seine Tritte spüren, seine wilden Bewegungen und wenn er Schluckauf hatte, konnte ich nicht schlafen.
Als ich aufwache ist es irgendwas kurz nach halb 7. Meine Gebärmutter hat sich kontrahiert und von diesem schmerzhaften Ziehen bin ich aufgewacht. Ich versuche weiter zu schlafen. Solche Kontraktionen hatte ich schon öfter in den letzten Wochen und jetzt bin ich ET+10. Ich will mir nicht allzu große Hoffnungen machen, um uns nicht unter Druck zu setzen. Du darfst kommen, wann du kommen willst.
Anders als bei den anderen Malen, kommen die Kontraktionen heute aber immer wieder. Vielleicht sind das jetzt Wehen. Vielleicht kommt er ja heute oder morgen. Ich gehe aufs Klo und versuche dann nochmal zu schlafen, schließlich ist es gut ausgeruht in die Geburt zu starten. Aber ich kann nicht. Dieses Ziehen ist zu stark und hält mich wach. Irgendwann gegen 8 wacht mein Freund auf. Ich sage ihm, dass ich mir nicht ganz sicher bin, aber, dass es sein könnte, dass ich Wehen habe. Irgendwie hatten wir beide die Vorstellung, dass man Zeit hat bei einer Geburt, vor allem bei der ersten. Wenn die Wehen anfangen, dauert es noch eeeeeewig. Eine meiner größten Sorgen war, zu früh in’s Geburtshaus zu kommen.
Wir sind also beide recht entspannt und mein Freund schlägt vor, zu frühstücken. Schließlich braucht man auch Kraft für eine Geburt.
Am Frühstückstisch muss ich mich aber dann schon ziemlich konzentrieren. Es zieht immer stärker. Erst will ich Tee trinken. Dann doch lieber Kaffee. Letztendlich schaffe ich beides nicht mehr. Ich habe absolut keinen Hunger, muss ständig aufs Klo und stütze mich während der Wehe an der Küchenzeile ab. Außerdem habe ich das Gefühl, mich bald übergeben zu müssen. Ich zwinge mich eine Scheibe Marmeladebrot zu essen, damit ich nicht aus leerem Magen erbrechen muss.
Danach lege ich mich auf die Couch und beginne mit zu atmen. Kurz darauf muss ich mich tatsächlich übergeben. Mein Freund schlägt vor, Katharina anzurufen, worauf ich antworte, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob es jetzt wirklich losgeht. Die Wehen kommen in relativ kurzen Abständen, vllt so alle 5 Minuten. Irgendwie denke ich deshalb, dass es vielleicht doch noch keine richtigen Wehen sind, weil „richtige“ Wehen in der Theorie ja mit großem Abstand anfangen und dann immer kürzer und stärker werden. Bei mir wurden sie zwar stärker, die Abstände waren aber von Anfang an kurz. Mein Freund schlägt vor, ich solle in die Badewanne gehen, um zu sehen, ob die Wehen stärker oder schwächer werden. Noch stärker als jetzt? Bitte nicht, denke ich. Ich habe Angst, es nirgendwo mehr hin zu schaffen, wenn die Wehen noch stärker werden und gleichzeitig, zweifle ich immer noch ein bisschen daran, dass das jetzt die Geburt ist. Wir beschließen Katharina über WhatsApp zu schreiben, dass es losgeht. Ich denke immer noch, dass es ewig dauern wird und halte es für übertrieben, sie gleich anzurufen. Im Nachhinein muss ich ein bisschen über meine sture Naivität schmunzeln.
Als ich anfange mitzutönen, übernimmt mein Freund die Führung: Er sagt, ich solle mich anziehen, wir fahren jetzt ins Geburtshaus und ruft Katharina an. Ich versuche zu tun, was mir gesagt wurde, schaffe aber gerade mal ein Hosenbein, bevor die nächste Wehe kommt und ich mich im Wohnungsflur in den Vierfüßlerstand begebe, in der Hoffnung, das würde die Wehe erträglicher machen. In keiner meiner Vorstellung waren die Wehen so, wie ich sie jetzt empfinde. Ich will einfach nur, dass sie aufhören. Jetzt sofort. Wie soll ich das bitte noch 12 Stunden aushalten? Das geht nicht. Die Atmung, die ich geübt habe, bringt mir absolut gar nichts. Das ist doch alles Müll, denke ich. Das einzige was mir hilft, das mag bei anderen Frauen ganz anders sein, ist tönen. Laut und deutlich. Ohhhh….
Am Telefon schlägt Katharina vor, ich solle in die Badewanne gehen und wir sollten uns in einer halben Stunde nochmal melden. Na wenn die Hebamme das sagt, dann mache ich das auch. Mein Freund lässt Wasser ein und ich versuche vor die Badewanne gekauert den Abstand zwischen zwei Wehen zu stoppen (wofür habe ich mir sonst diese blöde Wehen-App runter geladen?). 2 Minuten. Aha. Wahrscheinlich ist es auch vollkommen egal, denke ich. Dann sage ich zu meinem Freund, dass ich vielleicht doch ins Krankenhaus muss, um eine PDA zu kriegen. Er antwortet, das sei Blödsinn. Tja… Pech gehabt, denke ich.
Als ich in der Badewanne sitze und ein paar weitere Wehen hinter mich gebracht habe, zwinge ich mich nach dem Muttermund zu tasten. Das habe ich in der Schwangerschaft schon geübt, weil ich dachte, es könne in der Geburt nützlich sein. Jetzt kostet es mich große Überwindung. Ich habe Angst, dass ich dadurch zu abgelenkt bin, um mich richtig auf die Wehen zu konzentrieren; dass sie dann noch schmerzhafter werden. Ich kann den Kopf des Babys tasten und davor etwas Weiches. Kurz denke ich, dass das Baby irgendwie falsch liegt, dann wird mir klar, dass das die Fruchtblase ist. Mein Freund fragt mich, wie weit der Muttermund denn schon offen ist. Darauf ich: „Ach der Muttermund…“, und mache eine wegwerfende Handbewegung, „Also ich glaube nicht, dass wir es noch irgendwohin schaffen.“
Und dann plötzlich presst mein Körper einfach. Von sich aus. Ohne, dass ich das wollte. Es braucht ein paar Sekunden bis ich auf die Idee komme, dass das jetzt eine Presswehe war. Das kann doch gar nicht sein, denke ich, ich kann doch nicht jetzt schon Presswehen haben. Es ist kurz vor 10.00 Uhr.
Am Telefon hat mein Freund Katharina Bescheid gesagt, dass meine Wehen eher stärker geworden sind und er nicht sicher ist, ob ich noch Treppen gehen kann.
Kurz darauf kommt sie in unsere Wohnung spaziert. Es ist 10.04 Uhr, wie ich später in ihren Notizen lesen kann. Sie lächelt mich an und ich bin einfach nur froh, dass sie da ist. Sie fragt, ob mir das alles ein bisschen zu schnell geht. Das kann ich nur bejahen und dann schildere ich ihr, was ich getastet habe. Sie sagt, dass ich das super mache und, dass ich doch nochmal mit ihr auf die Toilette gehen soll, damit die Fruchtblase platzt. Dort angekommen sagt sie, ich solle einfach ganz stark pressen. Das fällt mir nicht schwer, macht mein Körper ja von selbst. Und es tut viel weniger weh, als die Wehen vorher. Es füllt mich einfach nur aus, meinen Kopf und meinen Körper. Und zack, die Fruchtblase platzt. Sie habe den Kopf schon gesehen, sagt Katharina. Worauf ich, soweit ich mich erinnere, nur: „Echt jetzt? Ach du Scheiße“ sage. Gleichzeitig bin ich auf einmal unheimlich motiviert, weil mir klar wird, dass es absolut nicht mehr lange dauert; dass der Kleine dann endlich da ist. Und ich es überstanden habe. Ich denke an meine Angst, vor dem Kopf und wie weh es tun wird, wenn er rauskommt. Aber es ist mir auf einmal ziemlich egal. Du musst da jetzt einfach durch, denke ich, dann ist es vorbei. Einfach pressen. Wir gehen zurück ins Bad, in die Badewanne und ich presse so fest ich kann. Ich halte mir die Nase und den Mund zu dabei. Ich schaffe es nicht ganz und spüre, wie der Kopf etwas zurück rutscht. Katharina sagt, ich soll mir Zeit lassen, meine Kräfte sammeln; an meinen Freund denken, der am Wannenrand sitzt und an unser Baby. Dann kommt die nächste Wehe und ich presse. Ich spüre wie der Kopf über den Widerstand hinweg tritt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, aber schmerzhaft ist es nicht. Ich betrachte den Kopf, wie er da im Wasser „schwimmt“. Ein irreales Bild. Ein halbgeborener Mensch. Die Zeit bis zur nächsten Wehe kommt mir ewig vor. Ich brauche eine Wehe, denke ich. Und dann, um 10.19 Uhr, ist er da und schreit. Und es ist tatsächlich ein Baby. Unser Baby. Unser kleiner Arthur.
Ich glaube, eine Geburt ist eines der kraftvollsten und geheimnisvollsten Dinge, die ein Mensch miterleben kann. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Lasst euch auf das Abenteuer ein. Es ist großartig.
Mir hat es glaube ich geholfen, mich vorher mit Geburten zu beschäftigen. Ich habe viele Geburtsberichte gelesen und angeschaut. Bei manchen dachte ich dann: So wünsche ich mir unsere Geburt auch und hatte ein warmes zärtliches Gefühl in mir. Ich fand die Idee schön, dass ich der Geburtsort bin, egal wo es passiert. Dass das Kind nicht von mir kommt, aber durch mich. Und ich habe mich sehr auf die Geburt gefreut.
Andererseits hatte ich auch Angst. Vor den Schmerzen, aber vor allem vor Geburtsverletzungen. Deshalb habe ich sehr regelmäßig alles gemacht, was das Gewebe irgendwie vorbereiten kann. Sprich Himbeerblättertee, Heublumensitzbäder und Dammmassagen. Das würde ich auf jeden Fall auch weiterempfehlen. Denn vielleicht hatte ich auch nur Glück, aber ich musste nicht genäht werden. Damit habe ich absolut nicht gerechnet, aber ich war so unheimlich froh und stolz auf mich.
Eine Geburt kann man nicht planen. Aber als Frau darf man daran glauben, dass man das kann.