Schon bevor ich schwanger wurde, habe ich mich viel mit dem Thema Geburt auseinandergesetzt. So stand früh fest: wir würden gern ins Geburtshaus gehen. Dank der frühen Anmeldung und einer unkomplizierten und guten Schwangerschaft stand dem auch nichts im Wege.
Fünf Tage vor dem errechneten Termin ging abends der Schleimpfropf ab und ich fragte mich, wie bei jedem anderen „Vorzeichen“ der letzten Tage, ob es wohl diese Nacht losginge. Doch die Nacht verlief ruhig, ich konnte (verhältnismäßig) gut schlafen und wachte morgens mit einem menstruationsähnlichen Ziehen im Unterleib auf. Es blieb nur kurz, um dann nach etwa einer halben Stunde wiederzukommen. Wehen? Vorwehen? Übungswehen? – keine Ahnung.
Das Ziehen kam den Tag über immer wieder in unregelmäßigen Abständen, ich versuchte Bewegung und Ruhe abzuwechseln und mich abzulenken. Gegen Abend kam das Ziehen häufiger, aber noch immer gut aushaltbar. „Echte Wehen merkt man“ – mit dieser Aussage im Kopf war ich mir immer noch nicht sicher, ob das nun Wehen sind. Als mein Mann von der Arbeit kam, bat ich ihn dennoch, nicht wie geplant zum Sport zu gehen, und ging in die Badewanne. Dort wurde das Ziehen intensiver, häufiger und langsam musste ich mich währenddessen doch konzentrieren. So gegen 18 Uhr war dann klar: das sind wirklich Wehen. Mit einer App stoppten wir die Abstände und sie kamen tatsächlich schon alle 6-8 Minuten.
Die nächsten drei Stunden sind in meiner Erinnerung zu Momentaufnahmen zusammengeschmolzen: Die Geburtsplaylist läuft, das Licht ist gedämpft, es brennen Kerzen, mein Mann hat es übernommen, die Wehen zu stoppen. Bei jeder Wehe richte ich mich aus der Wanne auf, halte mich irgendwo fest und bitte meinen Mann um Gegendruck: erst auf dem Rücken, später dann am Becken – das tut so gut. Irgendwann ist es mir in der Wanne zu warm, und ich veratme die Wehen stehend am Waschbecken. Mein Mann befestigt einen Strick an der Tür, an den ich mich in der Wehe hängen kann – auch das hilft Spannung abzubauen. Und plötzlich – platsch – platzt die Fruchtblase. Es ist inzwischen 19.15 Uhr und wir rufen nun Anja an, um ihr zu sagen, dass es losgeht, wir aber noch ein Weilchen zuhause bleiben wollen. Ich gehe nochmals in die Wanne und veratme zunehmend lauter die Wehen, die inzwischen alle drei Minuten kommen. Überrascht und bei Laune gehalten haben mich die Wehenpausen, die ja immerhin doppelt so lang und wirklich völlig schmerzfrei sind.
Um 20.30 Uhr sind die Schmerzen dann aber so stark, dass ich gern los will – um mit etwas Anleitung besser durch die Wehe zu kommen, um in die große Wanne zu können und um einfach zu wissen, dass ich es „richtig“ mache und es dem Kind gut geht. Wir rufen also Anja an, die schon im Geburtshaus ist und uns erwartet.
Die Fahrt nach Hagelloch ist nicht lang und die Wehen haben ein Nachsehen und kommen in größeren Abständen – bei den dreien, die ich im Vierfüßlerstand auf der Rückbank veratme, fährt mein Mann rücksichtsvoll an den Rand. Im Geburtshaus erfahren wir, dass vor zwei Stunden bereits ein Baby geboren ist und die kleine Familie noch im großen Geburtszimmer kuschelt. Mir ist das kleine Zimmer genauso recht, ich würde ohnehin gern in die Wanne. Zunächst hört Anja die Herztöne (super!) und fühlt dann den Muttermund. Ich erwarte, dass er so 2-4 Zentimeter offen ist und bin ganz überrascht, dass es sogar schon 6 Zentimeter sind. Bis hierher waren die Wehen wirklich auszuhalten, was mich sehr motiviert.
Bald ist unser Bett bezogen und die Wanne eingelaufen, sodass wir ins Bad umziehen können. Auch hier ist das Licht gedämpft, die Geburtskerze brennt und die von mir zusammengestellte Playlist läuft. In der Wanne kann ich in den Wehenpausen wunderbar auf dem Rücken liegend entspannen und mich während der Wehe im halben Kniestand auf den Wannenrand lehnen oder mich stehend ins Tuch hängen. Nun sind die Wehen zunehmend schmerzhaft und ich muss mich immer wieder darauf konzentrieren, ruhig zum Kind hin zu atmen und nach unten loszulassen. Gegen 22 Uhr verändert sich der Schmerz, wird schwerer zu veratmen und ich spüre den Drang zu schieben. Das kann doch nicht sein – ich bitte Anja nochmals nach dem Muttermund zu tasten. Sie weiß zwar schon, dass er offen ist („Das Baby kommt noch heute“), tut mir aber den Gefallen; und tatsächlich: 10 cm. Nach einer Stunde im Geburtshaus geht’s schon in die nächste Phase. Ich muss das erstmal verarbeiten, hatte ich doch „einen Zentimeter die Stunde beim ersten Kind“ im Kopf und mich auf eine lange Nacht eingestellt. Anjas Tipp „fühl in der Wehe mal selbst das Köpfchen, dann weißt Du, wo Du hinschieben musst“, kann ich erst gar nicht umsetzen. Ich habe alle Mühe, die Wehe zu verarbeiten – wie soll ich da noch irgendwo fühlen? Aber als ich es dann versuche und den weichen Hubbel spüre, hilft und motiviert das tatsächlich sehr.
In der Wanne ist es mir nun trotz kühlem Waschlappen und Wasser, das mein Mann immer bereithält, zu warm; außerdem will ich auf die Toilette. Dort lassen sich die Wehen auch ganz gut verarbeiten, es ist schließlich der natürliche Ort zum „schieben“. Und plötzlich spüre ich den Kopf schon am Scheidenausgang. Ich knie nun vor dem Sessel im Badezimmer und es beginnt der intensivste und zugegebenermaßen auch schmerzhafteste Teil. Anja schlägt vor, bei jeder Wehe abwechselnd einen Fuß aufzustellen, um mehr Platz zu machen, und ich fühle, wie sich der Kopf zentimeterweise vorschiebt und dann wieder zurückrutscht. Das geht eine ganze Weile so und langsam, langsam kommt der Kopf immer weiter raus, bis er irgendwann nicht mehr zurückrutscht. Anja legt mir während der Wehen eine warme Kompresse auf den Damm, mein Mann hält mich und ist eine unglaubliche Stütze – im Wort- wie im übertragenen Sinn. Nun ruft Anja Jana als zweite Hebamme hinzu und ein paar Wehen später ist der Kopf ganz geboren. Ein unglaubliches Gefühl, ein starkes Brennen – und das sehnliche Warten auf die nächste Wehe. Nun schiebe ich ohne Zögern und schon flutscht der Körper hinterher. Vor uns auf dem Boden liegt unser Kind, blau, ziemlich zerknautscht und mit einem ganz länglichen Kopf. Anja gibt ihn mir in den Arm, legt ein warmes Handtuch über ihn und nach einem kurzen Schrei wird er gleich ruhig und rosig. Kurz hört Anja die Herztöne (alles gut), dann dürfen wir stauen. Ich bin noch völlig neben mir von den letzten Stunden und brauche etwas, um zu realisieren, dass unser Kind nun da ist. Erst nach einigen Minuten schauen wir nach: ein Junge! Er ist um 23.25 geboren, zweieinhalb Stunden nachdem wir im Geburtshaus angekommen sind und gerade noch an dem schönen Datum 19.3.19.
Nach einer Weile ziehen wir um ins Bett, dort kommt nach einiger Zeit ohne Probleme die Plazenta und mein Mann durchschneidet die Nabelschnur. Anja hilft mir beim Anlegen und nach einigen Versuchen saugt er eifrig. Die Hebammen lassen uns allein und wir genießen die erste Zeit zu dritt.
Später übernimmt Jana mit dem Papa die U1 und das Anziehen und wir staunen alle über das stattliche Gewicht (3645 g) und den Kopfumfang (37 cm). Währenddessen näht Anja den kleinen Dammriss, dank eines Betäubungssprays merke ich davon so gut wie nichts. Nun habe ich Hunger und futtere mich durch unsere Vorräte, die wir unter der Geburt nicht angerührt haben. Auch die Cola, die ich eigentlich am „Tiefpunkt“ hätte trinken wollen, kann ich nun genießen. Inzwischen ist es 2.30 Uhr und mein Mann packt uns und unsere sieben Sachen ins Auto. Die Heimfahrt ist ähnlich vorsichtig wie die Hinfahrt, aber aus anderen, viel schöneren Gründen. Zuhause liegt Jakob zwischen uns im Bett, schläft selig und wir sind glücklich und dankbar über dieses Wunder.
Auch im Wochenbett betreuen Anja und Silke uns ganz wunderbar, mit Tipps, konkretem Anleiten beim Wickeln, Baden und Tragetuch-Binden, aber auch mit viel Verständnis für die Sorgen und Fragen der Neu-Eltern. Wir drei sind dem Geburtshaus-Team unendlich dankbar für die tolle Arbeit, die einfach unersetzlich und unbezahlbar ist!