Unsere große Tochter ist jetzt ein Jahr. Wir wollten immer einen kleinen Altersabstand bis zum Geschwisterkind und es funktioniert direkt wieder. Ich bin wieder schwanger und wir freuen uns sehr.
Die zweite Schwangerschaft geht schneller voran als die erste, aber neben unserem Familienalltag ist viel weniger Zeit sie bewusst wahr zu nehmen. Auch machen wir uns weniger Gedanken, was noch schief gehen könnte.
Beim Routinetermin in der 12. SSW schaut die Frauenärztin ungewöhnlich lange auf den Bildschirm bis sie meine Große dann mit einem Handschuh-Luftballon ablenkt und mir eröffnet, dass das Herz unseres Kleinen aufgehört hat zu schlagen.
Es ist Freitag und sie entlässt mich ins Wochenende nach Hause. Am Montag solle ich mich wieder melden, um einen Termin für die Ausschabung zu vereinbaren. Es gäbe allerdings auch die Möglichkeit erstmal abzuwarten und den Körper alles selbst regeln zu lassen. Gewissheit damit eine Ausschabung zu umgehen habe man allerdings nicht.
Wir verbringen die nächsten Tage in einem Wechselbad der Gefühle. Von Enttäuschung und Traurigkeit, dem Nicht-Wahr-Haben-Wollen, der Frage, warum genau uns das passiert und ob die letzte Zeit für mich doch zu anstrengend war und ich mich nicht genug geschont habe, ist alles dabei.
Unsere Hebamme von Kind 1 empfiehlt uns, gegebenenfalls mit dem Geburtshaus in Tübingen Kontakt aufzunehmen.
Montag früh rufe ich dort an und wir können am Mittag direkt vorbeikommen.
Alle gemeinsam als Familie, werden wir herzlich willkommen geheißen, Chris erklärt uns ausführlich welche Szenarien denkbar sind, was uns erwarten könnte und zeigt uns auch einige Bilder. Das hat zunächst etwas Überwindung gekostet, uns aber letzten Endes gut vorbereitet und in unserer Entscheidung unterstützt.
Wir warten zunächst ab, reden viel und nehmen uns Zeit, die Situation anzunehmen, wie sie ist und einen guten Weg des Abschieds für uns vorzubereiten.
Nach knapp 2 Wochen spüre ich immer wieder ein Ziehen im Rücken, im Bauch und im Becken. Um meinem Körper den letzten Anstoß zur kleinen Geburt zu geben, und damit den Zeitpunkt ein wenig mitzubestimmen, bekomme ich Tabletten (Cytotec) und so können wir die Betreuung für unsere Große organisieren und die Geschäftstermine meines Mannes verlegen.
Wir machen es uns also nach der Tabletteneinnahme zu zweit auf dem Sofa gemütlich und warten ab. Nach gefühlten ewigen zwei Stunden übermannt mich eine Heulattacke, da ich schon befürchte es funktioniert nicht. Wir entspannen uns etwas bei einem kleinen Spaziergang um den Block.
Allmählich werden dann doch endlich die Schmerzen stärker und wehenartig. Nach insgesamt sechs Stunden kommt unser kleiner Sohn zur Welt.
Wir haben ihn in einer Schale aufgefangen, um ihn später anzuschauen, und ihn würdig verabschieden zu können.
Anschließend sitze ich noch gut zwei Stunden auf der Toilette und das Blut tropft aus mir heraus, begleitet von immer wieder einigen Plazentastücken. Mein Mann stand mir die ganze Zeit sehr liebevoll zur Seite.
Inzwischen ist es Nacht geworden, ich dusche mich kurz ab und wir legen uns schlafen.
Beim ersten Gang zur Toilette am Morgen verlassen mich die Kräfte, mein Kreislauf bricht zusammen und ich werde kurz bewusstlos.
Anschließend gibt es erstmal eine Stärkung und ich fühle mich schnell wieder fitter.
Unsere Große kommt wieder nach Hause und wir zimmern einen kleinen Sarg. Gemeinsam beerdigen wir den Kleinen auf unserer Obstwiese, und pflanzen auf dem Grab einen Apfelbaum.
Die Blutungen werden nach zwei Tagen nochmal stärker und es kommen erneut wehenartige Krämpfe hinzu. Silke kommt an diesem Abend noch einmal vorbei und gibt mir erneut Tabletten. Es kam wohl beim ersten Mal noch nicht die gesamte Plazenta mit heraus. Es gehen über mehrere Stunden nochmal Blut und Koagel ab.
Bei den folgenden Kontrollterminen beim Frauenarzt heißt es immer die Blutreste werden weniger, sind aber noch nicht komplett weg und eine Ausschabung ist weiter nicht auszuschließen. Ich bekomme noch zwei Mal die Tabletten, habe jedes Mal ziemliche Krämpfe, eine größere Blutung kommt aber nicht mehr und ich werde nach und nach immer frustrierter und kraftloser. Wir entschließen uns dann die Tabletten nicht mehr zu nehmen und weiter einfach so bis zur nächsten Regelblutung zu warten. Silke bringt mir noch einen Tee, zeigt mir Akkupressurpunkte und gibt Tipps, wie ich den Eisenmangel wieder ausgeglichen bekomme. So geht es mir nach und nach wieder besser und wir können uns gedanklich wieder auf unseren Alltag einlassen. Immer wieder machen wir einen Spaziergang zu unserer Obstwiese oder Zünden eine Kerze an und so ist uns unser Kleiner ganz nahe.
Vier Wochen später setzt die normale Regelblutung wieder ein. Beim anschließenden Kontrolltermin zeigt sich auch die Frauenärztin zufrieden, und kann keine Plazenta-Reste mehr entdecken.
Wir haben uns für diesen längeren Weg des Abschieds in der Form der kleinen Geburt auch deshalb entschieden, damit der Kopf Zeit dafür hat, mit sich im Reinen mit der Schwangerschaft abzuschließen. Auch wenn zwischendurch Zweifel aufkamen, können wir nun im Nachgang sagen, dass es für uns der absolut richtige Weg war, um alles auch gut zu verarbeiten. Wir verspüren nun wenige Wochen später schon kaum mehr Wehmut, sondern freuen uns wieder auf die Zukunft. Von dem Team des Geburtshaus Tübingen wurden wir unkompliziert aufgenommen und einfühlsam betreut. Vielen Dank dafür!