Als ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen halte, befindet sich Deutschland gerade im ersten Corona-Lockdown und ich habe einen Krankenhausaufenthalt wegen einem Fahrradunfall hinter mir. Diese beiden Tatsachen veranlassen mich zu einer Recherche: Gibt es Möglichkeiten, zu entbinden, bei denen ich mir sicher sein kann, dass ich nicht alleine während der Geburt bin und außerdem die Anonymität und Hektik eines Krankenhauses vermeiden kann? Kurze Zeit später finde ich die Antwort. Es ist möglich, in einem Geburtshaus. Ein Anruf und eine Email später habe ich die Zusage, dass ich unter der Betreuung von Chris im Geburtshaus entbinden können werde.
Neun Monate später weiß ich bereits, dass das die richtige Entscheidung war. Bei den regelmäßigen Vorsorgeterminen im Geburtshaus konnten wir sowohl alle drei Hebammen gut kennenlernen, die für uns zuständig sein werden, als auch erleben, wie viel Sicherheit und Entspannung es einem gibt, wenn sich jemand wirklich Zeit für ein Gespräch, Fragen und Erklärung zu verschiedenen Untersuchungen nimmt.
Als ich dann nachts mehrmals aufwache, weil ich Wehen spüre, bin ich dementsprechend auch entspannt und schlafe einfach weiter bis die nächste kommt. Irgendwann werden sie stärker und ich fange an, auf die Uhr zu schauen, um die Abstände zu messen. Bevor sie jedoch kurz genug sind, werden die Wehen so stark, dass ich aufstehen muss. Mein Freund wacht auf, weil ich im Schlafzimmer tönend auf und abtigere. Er hilft mir, duschen zu gehen, während den Wehen halte ich mich an ihm fest und kann sie so gut überstehen. Er misst die Abstände und als wir die Vier-Minuten-Marke erreicht haben, rufen wir Chris an. Sie rät mir, erst einmal in die Badewanne zu gehen, um mir ein bisschen Entspannung zu gönnen, damit ich genug Energie für die Geburt habe. Tatsächlich werden die Wehen in der Badewanne leichter und die Abstände wieder größer. Nach dem Baden lege ich mich auf die Couch und kann noch einmal ein paar Stunden schlafen. Gegen Nachmittag kommt Chris zu uns und untersucht mich. Der Muttermund ist ein wenig geöffnet, aber bis zur eigentlichen Geburt ist noch einiges an Arbeit nötig. Chris rät mir, so viele Kräfte zu sammeln wie möglich, weil sie vermutet, dass es in der kommenden Nacht richtig losgeht. Sie behält recht. Gegen zwei Uhr springe ich wieder aus dem Bett, weil ich eine starke Wehe habe. Ein paar Stunden wechsele ich im Wohnzimmer zwischen kurzem Dösen auf der Couch und lautstarkem Veratmen der Wehen, die jetzt immer öfter kommen. Irgendwann wacht mein Freund dadurch auf und lässt mir nochmal Badewasser ein, doch diesmal hilft es nichts, die Wehen werden immer stärker und wir beschließen, ins Geburtshaus zu fahren.
Chris erwartet uns dort schon, gibt uns Anleitung und sanfte Hilfestellung, damit ich die Wehen überstehe. Einige Stunden verbringe ich im Bett, auf der Gebärmatte und in der Badewanne, zwischen den Wehen döse ich immer wieder ein und kann so Kraft schöpfen, um die nächste Wehe zu überstehen. Am Vormittag dann ist der Muttermund komplett geöffnet, aber das Baby liegt noch nicht richtig, um herauszukommen. Chris gibt uns Tipps, welche Übungen wir machen können, um unser Baby zum Drehen zu bewegen und so stehen, knien, liegen wir abwechselnd im Bett und auf der Gebärmatte, um unseren Kleinen für die Geburt vorzubereiten. Leider bin ich zunehmend erschöpft von der langen Geburt und dem Schlafmangel und die Wehen werden wieder schwächer und seltener. Inzwischen ist auch Bettina angekommen, um Chris zumindest für einige Zeit abzulösen, denn auch sie ist sehr erschöpft. Bevor Chris sich zurückzieht, besprechen wir aber noch die Lage: Wegen meiner Erschöpfung rät sie mir, so gut es geht zu schlafen und mich auszuruhen, die Wehen soll ich ohne große Bewegung an mir vorüberziehen lassen. Danach hat Bettina noch ein kleines Programm für mich, um die Wehen noch einmal zu verstärken. Nach der besprochenen Ruhepause geht es los. Mein Freund und ich machen einen halbstündigen Spaziergang durch Hageloch, ich esse einen Müsliriegel und wir gehen zurück ins Geburtshaus. Leider liegt das Baby jetzt so in mir, dass ein Nerv eingeklemmt ist und ich habe starke Rückenschmerzen auch außerhalb der Wehen. Bettina versucht alles, um mir ein bisschen Erleichterung zu verschaffen und das Baby zum Drehen zu bewegen, leider ohne Erfolg. Als Chris zurückkommt, beschließen wir deshalb, in die Klinik zu fahren. Mir graut davor, an den Wehentropf zu kommen und dadurch noch stärkere Wehen zu haben, aber ich sehe ein, dass wir handeln müssen, damit unser Sohn endlich auf die Welt kommen kann. Chris ahnt wohl meine Gedanken und empfiehlt mir direkt, dass ich im Krankenhaus nach einer PDA fragen soll, damit ich die stärkeren Wehen ertragen kann. Mit dieser Aussicht fällt es mir deutlich leichter, mich mit dem Klinikgedanken anzufreunden.
Wir fahren mit zwei Autos zur Tübinger Frauenklinik, wo wir schon erwartet werden, Chris und Bettina begleiten mich direkt in den Kreißsaal und erklären den Hebammen dort die Lage. Ich werde mit einer Infusion aufgepäppelt und bekomme dann die PDA – eine echte Wohltat nach den vielen Schmerzen. Kurz werden mein Freund und ich allein gelassen und ich kann mich ein wenig entspannen. Dann geht es weiter: Der Wehentropf wird angehängt und ich mache wieder Übungen unter Anleitung der Klinikhebamme, um unseren Sohn vielleicht doch noch zum Drehen zu bewegen. Doch uns wird bereits mitgeteilt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben und es sein kann, dass ein Kaiserschnitt nötig sein wird. Ich werde also geschüttelt, wechsele von Rückenlage zu Seitenlage zu Vierfüßlerstand, presse testweise, um zu sehen, ob unser Sohn vielleicht so ein Stück in die richtige Richtung geht, doch alles hilft nichts, er liegt weiter falsch und rutscht nach jeder Wehe immer wieder zurück. Zwei Oberärzt*Innen untersuchen mich noch, um sich ein Bild zu machen, dann kommt die einstimmige Empfehlung: Kaiserschnitt. Alles andere wäre zu riskant und unser Sohn zeigt langsam erste Stresssymptome durch die lange andauernde Geburt.
Unsere Entscheidung ist deshalb klar, wir machen es. Dann geht alles ganz schnell. Ich werde in den OP geschoben, wo schon alle warten, die Stimmung ist voller Tatendrang und ausgelassen, ich fühle mich in guten Händen. Weniger als eine Stunde später ist es dann endlich soweit, unser Fabian erblickt gesund das Licht der Welt und wir können ihn nach all den Strapazen endlich in den Armen halten.
Trotz der langen Dauer und den vielen verschiedenen Maßnahmen würde ich rückblickend nichts anders machen. Zu keiner Zeit habe ich Unsicherheit verspürt oder mich alleine gefühlt. Ich konnte mich voll und ganz auf mein Baby und mich konzentrieren und ihn so auf seine Weise und in seinem Tempo auf die Welt begleiten. Ich möchte mich an dieser Stelle noch bedanken, bei meinem Freund, der keine Sekunde von meiner Seite gewichen ist, Wehen mit mir vertönt hat und überhaupt die ganze Zeit für mich da war. Bei Chris, die schon in der Schwangerschaft alle meine Fragen beantwortet hat und uns wunderbar durch die Geburt begleitet hat. Bei Bettina, die alles gegeben hat, um mich zu mobilisieren und uns die ersten Tage nach der Geburt mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Und natürlich auch beim Klinikpersonal, die auf meine Wünsche eingegangen sind und mich bei allen Entscheidungen mit einbezogen haben. Auch wenn die Geburt ein Kraftakt war, würde ich nichts daran ändern wollen, denn am Ende konnten wir das schönste Geschenk überhaupt im Arm halten.