Linus

Meine erste Geburt war ein unvergesslich schönes Erlebnis. Die ruhige, warme und entspannte Atmosphäre im Geburtshaus sorgte dafür, dass ich mich die ganze Zeit wohl fühlte und mich einfach von meinem Körper und dem Geburtsprozess leiten lassen konnte. Bei allem, was ich im Voraus gelesen und gehört hatte, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich so eine schöne und intuitive Geburt erleben darf.

 

Am Sonntagmorgen wachte ich auf und spürte ein periodenähnliches Ziehen im Bauch, das jedoch nicht dauerhaft war, sondern immer wieder kam und ging. Ich erzählte meinem Partner davon, konnte jedoch noch nicht wirklich einschätzen, ob das wirklich Wehen sein sollten. Also starteten wir normal in den Tag. Ich ging mit dem Hund spazieren, wir frühstückten, hängten die Wäsche auf, gingen duschen und die ganze Zeit kamen immer wieder Wellen. Ich wollte es nicht als Wehen bezeichnen, weil ich das als maßlose Übertreibung angesehen hätte.

 

Ich hatte dauerhaft das Bedürfnis, mich zu bewegen und konnte ganz intuitiv einfach meinem Körper folgen. Manchmal merkte ich gar nicht, dass ich die ganze Zeit in Bewegung war. Beim Zähneputzen zum Beispiel, sah ich in den Spiegel und mir fiel auf, dass ich dauerhaft einen Wiegeschritt machte. Der Tag lief normal weiter, wir aßen zu Mittag, und die Kontraktionen waren inzwischen so, dass ich mich immer kurz darauf konzentrieren musste und sie am liebsten im Stehen beim Hin- und Herwiegen veratmete. Kurz nach dem Mittagessen fing ich an, die Kontraktionen zu tracken, um eine grobe Einschätzung zu bekommen. Ich fühlte mich nach wie vor sehr wohl, machte noch einige Yogaübungen, versuchte, die Hüfte zu mobilisieren und die Muskelgruppen rundherum zu dehnen und zu lockern.

 

Bei schönstem Sonnenschein gingen wir dann am Nachmittag gemeinsam mit dem Hund übers Feld spazieren. Inzwischen hatte ich alle 3-4 Minuten eine Kontraktion, die ich im Stehen mit leichter Hüftbewegung gut veratmen konnte. Also blieben wir immer wieder stehen, ich stützte mich an meinen Partner, veratmete die Wehe und danach liefen wir weiter.

 

Zuhause angekommen, merkte ich, dass mich der Spaziergang doch sehr angestrengt hatte. Also legte ich mich eine Weile aufs Sofa in Seitenlage. Das ging zum Glück gut, ich konnte in den Wehenpausen ein bisschen dösen und die Wehen im Liegen weiter gut veratmen. Irgendwann fühlte sich Liegen nicht mehr gut an und ich war viel auf den Knien. Im Vierfüßlerstand, mit dem Oberkörper auf dem Ball oder auf dem Sofa, fühlte ich mich zu dieser Zeit am wohlsten. Beim Abendessen konnte ich mich schon kaum mehr aufs Essen konzentrieren, ständig musste ich für eine Wehe aufstehen und kniete oder hockte dann neben dem Stuhl.

 

Zu diesem Zeitpunkt riefen wir zum ersten Mal unsere Hebamme an. Wir schilderten die aktuelle Situation und sie bot uns an, dass sie zu uns nach Hause kommen könnte. Wir fühlten uns aber weiterhin wohl und ich hatte nicht das Bedürfnis nach Unterstützung. Also beschlossen wir, dass wir uns einfach wieder melden würden.

 

Gegen 23 Uhr legte sich mein Partner aufs Sofa, um zu schlafen. Ich kniete währenddessen die meiste Zeit vor dem Sofa, legte den Oberkörper ab, bewegte die Hüften, und in den Wehenpausen schlief ich etwas. Um 1:30 Uhr hatte ich das erste Mal den Wunsch, dass sich die Situation verändern sollte. Ich wollte, dass jemand mich untersucht und mir sagt, wie der aktuelle Stand ist. Also riefen wir Anaïs an und vereinbarten, uns im Geburtshaus zu treffen. In den 45 Minuten bis wir losfuhren, nahm die Intensität der Wehen noch zu, ich konnte sie inzwischen nicht mehr so einfach veratmen und hatte bereits ein richtiges Druckgefühl.

 

Im Geburtshaus angekommen, schaffte ich es gerade noch, vom Auto in den Raum zu kommen und ging mit der nächsten Wehe direkt vor Anaïs auf die Knie. Die Zwei halfen mir, mich auszuziehen und dann untersuchte mich Anaïs kurz. Ihre Worte waren genau das, was ich hören wollte: Kein Muttermund mehr zu spüren, die Fruchtblase ist noch ganz, aber schon ordentlich Druck vom Köpfchen drauf. Sie prophezeite, dass diese wohl demnächst platzen würde – und drei Wehen später war es auch so weit. Um das Bett zu beziehen, kniete ich mich davor auf eine Matte und dort blieb ich auch eine ganze Weile. Mein Partner lag die ganze Zeit auf dem Bett und ich konnte mich bei jeder Wehe an seiner Hand festhalten. Anaïs rief noch unsere zweite Hebamme Bettina und eine Hebammenschülerin an, aber ich war bereits im Geburtstunnel und bekam gar nicht mehr wirklich mit, dass die zwei sich in den Raum schlichen. Anaïs war die ganze Zeit bei mir und leitete mich sanft an, meinen Körper einfach arbeiten zu lassen, half mir leichte Veränderungen und Bewegungen in meiner Position vorzunehmen und unterstütze mich auch verbal. Die Wehen kamen wie Wellen und ich merkte die Produktivität und wie sich langsam unser Baby auf den Weg zu uns machte.

 

Die letzten cm über den Damm waren dann echt anstrengend und als ich auf den Vorschlag von Anaïs hin doch nochmal die Position wechselte und mich in Seitenlage aufs Bett legte, merkte ich, wie müde und erschöpft meine Beine waren. Das Liegen tat so gut, weil ich mich ein bisschen entspannen konnte. Ich war total dankbar für diesen Vorschlag von ihr. Anaïs war die ganze Zeit bei mir, unterstützte mich mit warmen Kompressen und da die Wehen stark in den Rücken zogen, auch mit Druck aufs Kreuzbein.

 

Nach dem Positionswechsel ging es nicht mehr lang. Nachdem wir um 2:30 Uhr im Geburtshaus angekommen waren, kam um 4:01 Uhr unser kleiner Linus auf die Welt. Als der Kopf geboren war, legte Anaïs ihn mir direkt auf meinen Innenschenkel. Dieser kleine, warme Mensch auf meinem müden Bein war das schönste Gefühl. Sobald der Rest des Körpers geboren war (vielleicht 2 oder 3 Wehen später), kam er in meine Arme. Wir lagen zu dritt auf dem Bett und konnten unser kleines Baby ganz in Ruhe in dieser Welt willkommen heißen. Was für ein unbeschreibliches Gefühl.

 

Anaïs leitete mich nach einer Weile noch an, die Plazenta zu gebären. Meine Geburtsverletzungen wurden versorgt, während wir im Bett kuschelten und um 8 Uhr machten wir uns dann zu dritt auf den Weg nach Hause.

 

Ich bin meinem Körper, Anaïs und dem Geburtsteam unendlich dankbar für diesen wundervollen Start in unser Familienleben.

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