Jaron

Tagelang regte sich gar nichts, keine einzige Welle. Langsam wurde ich ungeduldig, versuchte mich aber immer wieder zu sammeln und darauf zu vertrauen, dass mein Baby schon weiß, wann es Zeit für ihn ist. Ich hörte täglich die Meditation zur Geburtseinleitung, da ich mich mit einer Art Hypnobirthing vorbereitete. Die letzten drei Wochen fiel es mir sehr schwer, mich auf die Hypnosen einzulassen. Wir waren vor zwei Wochen umgezogen, mein großer Sohn hielt mich auf Trab und immer wieder hatte ich Sorge wegen der bevorstehenden Geburt. Meinen ersten Sohn wollte ich im Hebammenkreißsaal zur Welt bringen, stattdessen endete die Geburt mit einem Kaiserschnitt wegen Geburtsstillstand, womit ich in der zweiten Schwangerschaft nun sehr zu kämpfen hatte. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Kind ohne Geburt, als wäre ich keine richtige Mutter. Natürlich weiß ich rational, dass das alles so nicht stimmt, und das man nicht nur Mutter ist, weil man eine natürliche Geburt geschafft hat – aber mein Gefühl war eben genau so. Ich fühlte mich schwach und unfähig und wünschte mir sehr, dass ich dieses Mal eine für mich „richtige“ Geburt erleben dürfte. Das Thema hatte ich auch immer wieder mit meiner Hebamme Verena besprochen, viele Tränen geweint und aufgearbeitet. Sie begleitete mich in der Schwangerschaft.
Eigentlich wollte ich wieder im Hebammenkreißsaal entbinden, leider war ich aber mit meiner Anmeldung zu spät dran. Tübingen kam für mich nicht wirklich in Frage und so freundete ich mich halbherzig mit der Vorstellung an, in der anthroposophischen Klinik in Filderstadt zu entbinden. 7 Wochen vor ET schlug Verena mir vor, mir doch mal das Geburtshaus anzuschauen und dort nachzufragen, ob eine Entbindung möglich wäre. Über Geburtshaus hatte ich bisher nicht nachgedacht, viel zu riskant, immerhin hört man davon immer nur die Horrorstorys… Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich es mir mal anschauen sollte. Normalerweise muss man sich gleich zu Beginn der Schwangerschaft darum bemühen, aber meine Hebamme setzte sich für mich ein und Anja, eine der erfahrensten Hebammen im Geburtshaus, sagte zu, dass sie mich begleiten wolle, auch wegen meiner Geschichte. Schon nach dem ersten Treffen hatte ich ein sehr gutes Gefühl, die Räume waren hell und warm, mein erster Sohn war beim Gespräch dabei und fühlte sich ebenfalls sichtlich wohl und die Hebammen strahlten Stärke und Mut aus und beim Gespräch flossen heilsame Tränen. Mein Entschluss stand fest, ich wollte es versuchen.
Was dann kam war ein Kampf gegen Ängste. Von allen Seiten wurde mir natürlich davon abgeraten, meine Schwester flippte fast aus, fand es unverantwortlich und hatte Angst um mich und das Baby. Mein Gynäkologe riet mir ebenfalls davon ab. Ein befreundeter Gynäkologe, der im Kreißsaal in einer Klinik arbeitet, sagte er würde es mir verbieten, wenn ich seine Partnerin wäre, zählte mir die Risiken auf (vor allem natürlich, dass meine Kaiserschnittnarbe reißen könnte und ich dann sehr schnell sehr viel Blut verlieren würde und dann auch die 10 Minuten zur Klinik eine Ewigkeit wären) und meinte, dass Geburtshaus nach Kaiserschnitt eigentlich verboten sein sollte. Ich kann seine Meinung aufgrund seiner Erfahrungen in der Klinik verstehen und bin dankbar, dass er so offen mit mir gesprochen hat. Nach dem Gespräch hatte ich eine schlaflose Nacht, was aber auch gut war, denn so konnte ich mich intensiv mit den Risiken und meinen eigenen Ängsten auseinandersetzen und die für mich richtige Entscheidung treffen und dabei alles bedenken. Mein Partner war ebenfalls verunsichert und auch für ihn war es wichtig, sich nochmal damit auseinanderzusetzen. Wir suchten das Gespräch mit den Hebammen vom Geburtshaus, fragten nach ihren Erfahrungen, nach dem Risiko, nach möglichen Notfällen und was dann passieren würde. Sie beruhigten uns, bestätigten, dass auch sie keine Lust auf Notfälle hätten und dass sie durch die intensive Betreuung (nämlich 1 zu 1) sehr nah an mir dran seien und sehr genau beobachten könnten, ob sich etwas veränderte, ob es Probleme geben könnte. Sie würden nach Kaiserschnitt eher früher als später abbrechen, denn auch sie wollen kein Risiko eingehen. Zusätzlich las ich noch das Geburtsbuch von Nora Imlau, was mich ebenfalls in meinem Wunsch bestärkte, ins Geburtshaus zu gehen. Trotzdem schwankte mein Gefühl immer wieder, bis zum Schluss. Selbst noch, als die Geburt losging, drängten sich die Stimmen in mein Ohr und ich überlegte kurz, ob ich nicht doch lieber in die Klinik fahren sollte.
Bei ET+4 kamen bereits unregelmäßig immer wieder Wellen und ich fragte meine Schwester am Abend, ob sie eventuell bei uns übernachten könnte wegen unseres großen Sohnes. Bei ihr wäre es in der Nacht nicht gegangen, also wäre meine Schwiegermutter gekommen. Obwohl sie ein sehr gutes Verhältnis zu unserem Sohn hat, wünschte ich mir für die Nacht meine Schwester als vertraute Person bei ihm. Die Wellen nahmen wahrscheinlich deshalb dann wieder ab und die Nacht verlief ruhig. Am nächsten Morgen hatten wir einen Termin zur Vorsorge im Geburtshaus. Anja empfahl mir, mich heute mal ganz auszuruhen und meinem Baby immer wieder zu sagen, dass ich bereit bin, wenn er kommen möchte. Mein Sohn und mein Partner waren den ganzen Tag unterwegs und so hatte ich die Ruhe. Ich schaute einen traurigen Film, versuchte zu meditieren, streichelte meinen Bauch, sprach mit meinem Baby, kaufte ein, kochte ein paar Gerichte zum Einfrieren und rief bei drei Friseuren an, ob ich heute noch einen Termin haben könnte – was sogar klappte 😊 Über den Tag verteilt hatte ich immer mal wieder Wellen. Um ca. 16 Uhr ging es dann mit regelmäßigeren Wellen los, die zwar noch gut zu veratmen waren, aber schon so im 7 Minuten Abstand kamen. Auf der Toilette löste sich dann der Schleimpfropf und ich rief aufgeregt Anja an, die aber meinte, dass das kein eindeutiger Hinweis sei und trotzdem noch ein paar Tage vergehen könnten. Doch die Wellen wurden immer stärker und regelmäßiger. Ich fragte meine Schwester, ob sie sich bereit halten könnte und hier übernachten, was sie bejahte. Wir aßen dann gemeinsam zu Abend (ich vorsichtshalber etwas weniger), dann hatte ich das Bedürfnis zu baden, was mein Sohn natürlich super fand und direkt mit mir in die Badewanne kletterte. Die Wellen kamen wieder etwas unregelmäßiger, dafür aber so, dass ich schon ganz schön veratmen musste. Die tiefe Bauchatmung (sehr langes Einatmen in den Bauch, normales Ausatmen) tat mir sehr gut und ich ärgerte mich ein wenig, dass ich sie die letzten Wochen wegen des Umzugs nicht regelmäßiger und intensiver geübt hatte. Irgendwann bat ich meinen Partner, den Kleinen aus der Badewanne zu nehmen, da ich mich nun konzentrieren musste. Inzwischen war es vielleicht halb sieben. Ich machte die Geburtshypnose an. Trotzdem nahm ich die Geräusche draußen wahr, hörte meinen Sohn, hörte meine Schwester kommen. Dann sah ich das noch sehr chaotische Regal im Badezimmer, das beim Umzug noch nicht fertig geworden war. Es fiel mir einfach schwer, mich zu entspannen und vollkommen auf die Geburt einzulassen. Ich stieg aus der Badewanne und setzte mich eine Weile auf’s Klo, dann redete ich eine Weile mit meiner Schwester, tigerte durch die Wohnung und veratmete die Wellen. Eigentlich wäre ich gerne schon früher los ins Geburtshaus, weil ich hier einfach nicht zur Ruhe kam, aber mein Partner war beim Sohnemann ins Bett bringen eingeschlafen und ich wollte auch nicht zu früh aufbrechen, damit Anja noch Zeit für sich hat.
Um neun hielt ich es dann nicht mehr aus, die Wellen waren sehr stark und ich brauchte Ruhe. Ich kündigte uns an, weckte meinen Partner und dann ging’s los. Da ich in dem Moment so schwitzte, habe ich mir keinen Pullover oder ähnliches mitgenommen. Im Auto fing ich dann an zu frieren… Im Geburtshaus wollte ich anfangs nur meine Ruhe, weshalb ich die Ohrstöpsel reinmachte und die Hypnose hörte. Dann stieg ich ins sehr heiße Badewasser, was mir unheimlich gut tat. Irgendwann konnte ich mich dann auf meine Anja einlassen. Sie untersuchte mich, Muttermund war bei 4 cm. Sie riet mir, meinem Baby die Richtung zu weisen, weil sein Köpfchen noch nicht die optimale Position hatte – genau das war auch das Problem bei der letzten Geburt gewesen. Ehrlich gesagt tat ich mich damit wirklich schwer, ich konnte nicht visualisieren wie der Weg aus mir raus war und so zeigte meine Hebamme dem Kleinen mit ihrem Finger den Weg und er bewegte tatsächlich sein Köpfchen und war jetzt in der richtigen Startposition, was mich sehr beruhigte. Um Mitternacht war ich ziemlich erschöpft, die Wellen waren sehr stark und ich unglaublich müde. Anja riet mir mich ins Bett zu legen, sie half mir mit Stützpositionen durch die Wellen und in den Pausen schlief ich ein. Irgendwann meinte sie, dass ich nun wieder aktiv werden könnte, wenn ich wolle, dass es weiter geht. Es war schwer mich aufzuraffen, doch ich wusste, dass ich es nicht schaffe, wenn es zu lange geht. Also nahm ich all meine Kraft zusammen und bewegte mich im Raum, nahm die Positionen ein, die sie mir vormachte und bei denen mein Baby stark auf den Muttermund drückte. Das hätte ich ohne Anleitung niemals gemacht, weil ich immer den Drang hatte, dem Schmerz auszuweichen statt ihn zu nutzen. Ich versuchte nun alles, damit mein Baby möglichst schnell bei mir war und wir zusammen ins Bett kuscheln konnten. Um zwei spürte ich dann langsam, wie das Köpfchen tiefer kam, ich war sehr überrascht darüber und fühlte mich damit etwas überfordert, wusste nicht was tun. Meine Hebamme ermutigte mich, mein Kind nun kommen zu lassen. Ich versuchte es, spürte aber immer wieder eine große Angst, weil ich das Gefühl hatte, dass das Kind da auf keinen Fall durch passt. Ich hatte das Bedürfnis in die Badewanne zu gehen.
Die Presswehen erlebte ich als eine unglaublich Urkraft, ich erkannte mich selbst nicht wieder und war so sehr in meinem Körper und mit meinem Kind verbunden, das war ein unglaubliches Gefühl. Endlich war das Badewasser eingelassen. Ich wurde nun ganz ruhig bei den Wellen, konzentrierte mich, war völlig eins mit mir und der Urkraft, nahm all meinen Mut zusammen und kämpfte gegen den Widerstand in mir an und presste. Und dann ging alles ganz schnell. Das Köpfchen war geboren, ich konnte es nicht fassen. Mit der nächsten Wehe kam dann der Körper meines kleinen Wunders. Die Hebammen Anja und Julia mussten schnell die Nabelschnur, die locker um seinen Hals gewickelt war entfernen, mein Sohn war wohl kurz blau und brauchte einen Moment, bis er den ersten Ton von sich gab. Davon bekam ich nur wenig mit. Ich nahm ihn schnell zu mir hoch und war so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben, bei meinem Partner und mir kullerten die Tränen und ich nahm unser Kind stolz wie eine Löwin in meine Arme. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so stark und so glücklich. Er war so wunderschön und perfekt! Wir kuschelten uns zu dritt ins Bett und es dauerte nicht lange, bis er sich zu meiner Brust hinarbeitete und die erste Mahlzeit einnahm. Ich war voll mit Endorphinen und konnte unser Glück nicht glauben. Wir waren Anja und Julia so dankbar und waren uns beide sicher, dass ich es ohne diese direkte, nahe Unterstützung wieder nicht geschafft hätte. Für mich war das Geburtshaus genau das Richtige, ich brauchte diese enge Begleitung, die Ermutigung, das Gefühl gehalten zu werden und die liebevolle Anleitung.
Leider stellte sich raus, dass ich bei der Geburt ziemlich starke Verletzungen davongetragen habe. Ein Dammriss dritten Grades. Anja trauten sich nicht zu, die Verletzungen zu nähen und so fuhren wir ca. 3 Stunden nach der Geburt in die Klinik. Wenn ich von Geburtsverletzungen hörte, stellte ich mir das immer sehr furchtbar und schmerzhaft vor. Ich kann aber jeder die Angst davor nehmen (und meine waren scheinbar die schlimmsten, die meine Hebamme in 27 Jahren Erfahrung bisher gesehen hatte). Ich spürte nicht mal, dass ich gerissen war, sondern musste Anja erst einmal fragen. Das schlimmste daran waren eigentlich die geschockten Blicke der jungen Assistenzärztin und Hebammen in der Klinik. Glücklicherweise nähte mich der Chefarzt und beruhigte mich, dass das alles halb so schlimm ist und gut heilen wird. Inzwischen (knapp 5 Wochen später), ist alles schon wieder ganz ok. Schwierig war es am Anfang wegen meines ersten Sohnes, ich musste zwei Wochen liegen und mich absolut schonen und konnte deshalb nicht wirklich gut für ihn da sein. Zum Glück hat er ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Papa und dieser meisterte alles hier grandios. Und auch jetzt im Nachhinein muss ich sagen, dass die Geburtsverletzungen im Vergleich zu dem unglaublich grandiosen Erlebnis dieser Geburt überhaupt nicht wichtig sind. Das körperliche heilt schnell wieder, die seelischen Verletzungen waren viel schlimmer und konnten jetzt durch die zweite Geburt geheilt werden.
Ein großes Dankeschön an das ganze Team vom Geburtshaus, es ist einfach toll was ihr leistet und mit wie viel Einfühlungsvermögen, Wertschätzung, Ganzheitlichkeit und Geduld ihr für die Frauen und Babys, die Partner und die ganze Familie da seid. Jedes Mal, wenn ich das Geburtshaus nach Gesprächen verlassen habe, fühlte ich mich gut und stark und war zuversichtlich. So sollte Geburtsbegleitung sein. Ich wünsche jeder Frau, dass sie sich bei ihrer Geburt und allem drumrum so gut aufgehoben fühlt und den für sich und ihr Baby richtigen Ort und die richtige Betreuung findet.

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