Rosa Mina

Es ist  Vollmond. Grund für meine Familie am Lagerfeuerabend die bevorstehende Geburt zum Thema zu machen und mir zu prophezeien, dass es nun jeden Moment losgehen kann. Bereit wäre ich. Doch ich will mich und das Kind nicht stressen lassen-immerhin sind es noch ein paar Tage bis zum Termin und bisher hat sich so gar nichts getan-keine Senkwehen, kein Durchfall, keine sonstigen Anzeichen.
Doch tatsächlich-die Kraft des Mondes scheint stark zu sein… In der darauf folgenden Nacht wache ich wie so oft nachts auf und kann erst mal nicht wieder einschlafen. Da merke ich, wie es sehr feucht zwischen meinen Beinen wird. Zunächst denke ich mir nichts dabei. Doch als es nach dem Toilettengang nicht besser wird, komm ich auch auf die Idee, dass es tatsächlich Fruchtwasser sein könnte.Ein euphorisches Gefühl steigt in mir empor; ich lasse meinen Mann aber noch weiter schlafen und versuche dem gleich zu tun, was nicht richtig gelingen soll.
Am Morgen, als ich mich mental bereits darauf vorbereiten konnte, dass dieser Tröpfchen-Abgang bedeutet, dass wir im Laufe des nächsten Tages zu dritt sein werden, kann ich endlich meinem Mann diese freudige Nachricht übermitteln. Gleichzeitig wird mir auch klar, dass sich wehentechnisch noch so rein gar nichts getan hat. Ich rufe Chris an. Wir verabreden uns für die Mittagszeit im Geburtshaus. Dort kommt bei mir so richtig Stimmung auf, ganz unerwarteterweise nur positive-von Ängsten keine Spur… Das CTG und meine Körpertemperatur scheinen auch positiv zu sein.
Wieder zu Hause bleibe ich mit Chris in Kontakt, die mir viele wertvolle Tipps gibt, um meinen Körper etwas in Schwung zu bringen. Also nehme ich fleißig Brechnuss-Globuli ein, tanze durch die Wohnung, versuche nochmals ein bisschen zu schlafen und lass es mir mit meinem Mann, den die ganze Situation leicht verunsichert, aber auch bespaßt, auf dem Balkon gut gehen.
Da ich zwar ein stärker werdendes Ziehen verspüre, aber immer noch nicht so,wie ich mir eine Wehe vorgestellt habe, machen wir am frühen Abend einen Ausflug zum Gönninger See, um den wir in einem Tempo spazieren, welches ich seit dickem Bauch gar nicht mehr kenne.
Es zeigt Wirkung – nun zieht es so, dass ich stehen bleiben muss und zumindest drüber nachdenke, wie das mit dem Atmen nochmal war. Und ab jetzt passiert tatsächlich was – es kommt wellenartig, immer stärker und in immer kürzer werdenden Abständen, in denen ich durch die Wohnung laufe und meinen Liebsten schonmal darauf vorbereite, dass ich später die Schmerzen vermutlich gerne für mich erleben will, ohne helfende Hände. Sowas weiß man vorher ja nicht…
Bei Fünf-Minuten-Abständen machen wir uns auf den Weg, denn zu Hause, wo auch die Schwiegermutter zu Besuch ist,wird es mir zu eng und ungemütlich.
Kurz vor Mitternacht empfängt uns Chris herzig und warm im Geburtshaus, wo sie grade Wasser in die Wanne einlässt. Was für ein wohliges Geühl hier zu sein!
Während mein Mann und Chris das Bett überziehen, gehe ich im Badezimmer auf und ab,lausche deren Gespräche, erfreue mich dieser angenehmen Atmosphäre im Kerzenlicht und bin irgendwie froh darüber, dass diese Phase auf die Nacht fällt. Mal sehen, wieviel wir vom Tag noch mitnehmen, denn der Muttermund ist erst 4cm geöffnet. Von nun an lässt Chris uns in Ruhe machen und kommt regelmäßig ins Zimmer, um die Herztöne zu überprüfen und uns hilfreiche Tipps zu geben.
Also lauf ich in der Wehe auf und ab, stütze mich auf sämtlichen Erhöhungen ab, sehe das Meer, den Sonnenuntergang und grüne saftige Wiesen. Das mit dem Veratmen und Rundmachen klappt erstaunlich gut. Das mit dem Abschalten teilweise weniger-denn ich hab ein ganz schlechtes Gewissen meiner besseren Hälfte gegenüber-so gerne würde er etwas tun, bleibt aber recht hilflos. Irgendwie muss ich ihm zeigen, dass es für mich nichts besseres gibt als ihn einfach da zu haben.
In den Pausen liegen wir im Bett und ich ruhe mich aus. Erstaunlich, dass das klappt und ich immer wieder wegdösen kann. Nach der Ruhe ist der Sturm am heftigsten. Also schlägt Chris ein Entspannungsbad vor. Au ja. Mittlerweile ist es 1:45 Uhr.
Leider ist das Badewasser mittlerweile etwas runtergekühlt und plötzlich kommt aus der Leitung nur noch kaltes Wasser. Mir tut das Bad jedoch so gut, dass ich Chris und Özgür ordentlich arbeiten lasse. Dank Wasserkocher, Herd und Mikrowelle können die beiden mir nach und nach heißes Wasser zugeben. Und wir können uns alle amüsieren. Insgesamt hab ich Freude an der ganzen Situation-auch daran, dass ich so unglaublich laut sein kann, hatte ich doch vermutet,ich sei eher der introvertiertere Schreier. Aber nein, ich übertreibe sogar ganz gerne.
Als um halb 3 jedoch der Muttermund immernoch erst 5cm offen ist, verspür ich zum ersten Mal Enttäuschung und ein ungutes Gefühl-schließlich muss ja nochmal so viel passieren und es tut jetzt schon ganz schön weh. Hilfe?!  Kapier ich jetzt erst auf welcher Reise wir uns gerade befinden und war so naiv zu denken, es gehe schön auf und ab von Meer auf Wiese zum Sonnenuntergang?!?! Dazu kommt dann auch noch, dass der Muttermund in der Wehe straff wird.
Aber Chris wäre nicht Chris, würde sie uns nicht irgendwie zu helfen wissen. Also krieg ich nochmals Brechnuss und eine Nadel in den Kopf verpasst.
Und siehe da… Nur 10 Minuten später werde ich leicht panisch und rufe Chris zu uns, da ich befürchte ein riesengroßes Geschäft in die Wanne machen zu müssen. Wie unangenehm mir das wäre. Doch für Chris ist es Anlass die Hebamme Saskia und die Praktikantin Deborah zu uns zu rufen.
Da ich aber anscheinend ausgesprochen gut auf Akkupunktur und Globuli reagiere, schaffen die beiden Frauen es leider nicht rechtzeitig. Denn ich stecke voll in den Presswehen, schreie alles zusammen und kann überhaupt nicht glauben, dass wir nun schon im Endspurt stecken. Nach nur 3 Stunden im Geburtshaus und nur 30 Minuten nach der letzten ernüchternden Untersuchung. Als ich das Köpfchen unseres Kindes berühre bin ich völlig außer mir. Und dann, um 3.14 Uhr halte ich unser Mädchen in den Armen, das sich erstmal von der Nabelschnur, die gleich 3 Mal um den Hals gewickelt ist, befreien muss.
Und so sind wir geboren – Rosa Mina als unser Kind und ich als ihre Mutter!
So magisch diese Minuten des Endspurtes und die erste Zeit mit nacktem, warmem Kind auf dem Bauch sind, so unglaublich wichtig und prägend ist doch der ganze Prozess über die komplette Schwangerschaft bis hierhin. Auf diesem Weg haben uns Anja, Chris, Deborah, Saskia  und Silke so unglaublich viel mitgegeben und uns in Zuversicht und Freude begleitet, für jede Frage und jedes Anliegen ein Ohr gehabt und unser größtes Geschenk so friedlich,herzlich und warm in dieser Welt willkommen geheißen. Vielen herzlichen Dank für alles! Ihr seid einfach großartig!
Und wir hoffen wirklich inständig, dass die Politik und die Gesellschaft endlich kapiıert, wie wichtig ihr und alle anderen Hebammen für uns Frauen, Kinder und auch die Männer dazu sind-es geht nicht ohne euch!

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