Schon kurz nach dem positiven Schwangerschaftstest, machen wir uns erste Gedanken dazu, wo wir entbinden wollen. Da ich selbst ein totaler Schisser, Krankenhäuser betreffend bin, ist sogar eine Hausgeburt kurz im Gespräch. Aufgrund von Geburtsberichten von Freunden und deren „schlechten“ Erfahrungen bzw. medizinisch notwendige Unterstützung während der Geburt, ist uns dies aber dann doch zu „unsicher“. Was ich aber ganz sicher weiß, dass ich mir eine, soweit möglich, selbstbestimmte Geburt wünsche, möglichst ohne Eingriffe und Störfaktoren von „Außen“. Mein Ehemann unterstützt mich in dieser Vorstellung voll und ganz – vielmehr teilt er die Ansicht, eine Geburt kann und muss nicht immer schmerz- und sorgenvoll sein, sondern ist ein natürliches Ereignis und sollte als ein solches auch erstmal betrachtet werden.
Meine Wochenbetthebamme erzählt mir von ihren tollen Erfahrungen im Geburtshaus in Tübingen – in welchem Sie selbst bei Ihrem ersten Kind betreut wurde. Leider gibt es dort bereits keine verfügbaren Plätze mehr für eine Entbindung im Mai. Also müssen wir uns nach Alternativen umschauen.
So stoßen wir auf viele positive Berichte von Geburten in der Filderklinik – diese arbeiten weitgehend anthroposophisch und unterstützen die Idee einer natürlichen Geburt. Eingriffe nur wenn absolut medizinisch notwendig – genau, wie wir uns das für unsere Geburt vorstellen.
Also nehmen wir relativ früh an einer Kreissaalbesichtigung teil – ich habe noch nicht mal einen sichtbaren Bauch. Für ein Krankenhaus fühlt es sich gar nicht mal so schlimm an, stelle ich überrascht fest. Unsere Entscheidung steht, den Entbindungsort betreffend, überwiegend fest. Hier wird zumindest versucht eine natürliche Geburt zu ermöglichen. Nur in Ausnahmefällen und auf Wunsch werden Dammschnitte, PDA oder Kaiserschnitte angewandt.
Während unseres Geburtsvorbereitungskurses im Januar, erwähnt eine Teilnehmerin, dass hin und wieder auch Plätze im Geburtshaus nachträglich wieder frei werden. Ich schaue natürlich sofort nach und freue mich riesig, als ich sehe, dass es für den Mai wieder freie Plätze gibt. Noch während des Kurses schreibe ich Frau Weimer-Hess an und frage unverbindlich nach. Eine Zusage für ein erstes Gespräch mit Silke Weyreter bekomme ich sehr schnell. Wir können unser Glück noch gar nicht fassen. So schnell wird ein „Plan“ über den Haufen geworfen.
Vor dem ersten Gespräch im Geburtshaus sind wir ganz aufgeregt, was uns dort wohl erwartet. Wir sind super positiv überrascht, wie familiär alles ist. Das Gebäude selbst hat Charme. Es war früher mal eine Gaststätte – meinem Mann gefällt vor allem, dass draußen noch das Bierreklameschild hängt. Drinnen fühlt man sich schnell wie daheim – helle Farben und ganz viel Wohlfühlatmosphäre. Die Idee der Hausgeburt liegt hier gar nicht mehr so fern. Das erste Mal während der Schwangerschaft, fühlen wir uns, bei der Vorstellung eine Geburt nach dem Hypnobirthing- bzw. friedlichen Geburt Konzepts zu erleben, unterstützt und nicht nur belächelt.
Zu Silke verspüren wir von Anfang an eine sympathische und harmonische Verbindung. Die ersten Zweifel oder Ängste sind wie weggeblasen. Wir sind schon während des 1. Gesprächs überzeugt. Nur wenige Tage nach dem 1. Gespräch stimmen wir allen Bedingungen für eine Geburt im Geburtshaus zu und vereinbaren den 2. Termin für ein Gespräch mit Jana Daniel. Zudem entscheiden wir uns dafür die restlichen Vorsorgetermine während der Schwangerschaft im Geburtshaus bei Silke durchzuführen.
Auch das 2. Gespräch und die ersten Vorsorgetermine bleiben bei uns in positiver Erinnerung. Es wird sich jedes Mal sehr viel Zeit genommen – Unterlagen durchgehen und durchsprechen, Probleme, Ängste und sonstige Fragen werden ausführlich besprochen und geklärt. Und bei der Vorsorge nur notwendige Untersuchungen durchgeführt. Da es keinen visuellen Ultraschall gibt, wird sich auf abtasten und das Dopton beschränkt.
Während der Schwangerschaft SSW 35 werde ich mit der Diagnose „Microcephalus“ zu einem Spezialisten geschickt. Das wirft mich völlig unvorbereitet aus der Bahn und ich bin so froh, dass sowohl Silke, als auch Jana sich die Zeit nehmen, um mich zu beruhigen und die Zeit bis zu dem Termin einigermaßen emotional unbeschadet zu überstehen. Die Diagnose hat sich übrigens nicht bestätigt.
Bei dem letzten Vorsorgetermin vor ET sind wir ganz überrascht, als Silke meint, dass mein Ehemann den Herzschlag von der Kleinen mit bloßem Ohr durch die Bauchdecke hören könne. Generell haben wir während unserer Begleitung durch die Kompetenz des Geburtshauses viel dazulernen können.
Trotz Corona kann ich noch an 3 Akupunkturterminen bei Chris teilnehmen. Auch hier fühle ich mich super gut aufgehoben und habe auch das Gefühl, dass es tatsächlich zu einem schnelleren Geburtsverlauf verholfen hat.
Am Morgen der Geburt, merke ich schon früh um ca. 5 Uhr eine innere Unruhe und leichte Kontraktionen. Da diese aber schon seit einigen Tagen kommen und gehen, ist das kein Grund für Aufregung. Gegen die innere Unruhe muss ich aber etwas tun. So beginne ich schon früh mit der Sortierung von Unterlagen, Kopien für Elterngeld und andere Anträge usw.. Als mein Ehemann aufsteht habe ich schon Stunden damit verbracht Dinge umherzutragen und aufzuräumen. Die bereits etwas stärkeren Kontraktionen erregen dann irgendwann doch unsere Aufmerksamkeit. Ich beschließe mir ein Sitzbad mit Heublumen einzulassen, um dann auch gleich feststellen zu können, ob es wie die letzten Male Linderung verschafft. Interessanterweise kann ich zwar keine Verschlimmerung, aber auch keine Verbesserung feststellen. Um ca. 11 Uhr denke ich dann tatsächlich, dass es heute soweit sein wird.
Ich informiere meinen Ehemann, der langsam ein kleines bisschen nervös wird. Er beginnt schon bald das Auto mit den Dingen fürs Geburtshaus zu beladen. Um ca. 12 Uhr beginnen die Wellen bereits etwas häufiger und stärker anzurollen. Ich beginne bereits mit der Veratmung, sei es auch nur so aus Übungszweck. Tatsächlich bin ich überrascht wie schnell die Wellen stärker werden und in kürzeren Abständen kommen. Laut meiner Wehenzähler App habe ich bereits alle 6 Minuten Wellen, die dann ca. 40 Sekunden anhalten. Um 12:26 Uhr beschließen wir Jana erstmal über den Stand zu informieren. Sie teilt uns mit, dass wir sehr gerne noch daheimbleiben dürfen und uns nochmals melden sollen, sobald wir meinen, dass wir ins Geburtshaus kommen wollen.
Bereits eine ¾ Stunde später ruft mein Ehemann Jana erneut an, um ihr mitzuteilen, dass wir gerne ins Geburtshaus kommen würden, da die Wellen jetzt bereits alle 5 Minuten für 45 Sekunden anrollen und ich schon kräftig veratmen bzw. bereits teilweise tönen müsste.
Um ca. 13:50 Uhr kommen wir im Geburtshaus an. Die Fahrt war schon ganz schön anstrengend. Die Wellen sind plötzlich dann doch ziemlich stark geworden. Jana ist bereits da und ist mitten in den Vorbereitungen. Sie erkennt schon bei meinem Eintreten, dass ich in der kurzen Zeit bereits ordentlich gearbeitet haben muss. Da im Zimmer noch ein Vorhang fehlt und die Waschmaschine noch ein bisschen braucht, dürfen wir ins Badezimmer gehen. Mein Mann packt, während ich es mir auf einer Matte kniend vor dem Sessel bequem gemacht habe, die restlichen Taschen aus dem Auto ins Zimmer und bezieht auch schon mal das Bett. Im Badezimmer bereitet er eine schöne Atmosphäre mit dem Entbindungsduft der Bahnhof Apotheke und unserer mitgebrachten Musik. Indessen töne ich jede kommende Welle so lange wie möglich und atme schön, wie im Vorbereitungskurs und bei den Hypnobirthing Übungen nach unten. Zwischendurch bewege ich mich im Raum hin und her oder erhole mich zusammengesunken auf dem Sessel. Damit ich nicht vergesse zu trinken, erinnert mich mein Mann regelmäßig, fast jede Pause zwischen den Wellen daran.
Jana hält sich sehr diskret im Hintergrund und fragt nur hin und wieder nach, ob es etwas gibt was wir brauchen. Ansonsten erledigt sie Schreibkram im Büro und ist für uns jederzeit da. Um ca. 16 Uhr fragt Jana zum ersten Mal nach, ob ich möchte, dass sie mal den Muttermund tastet. Ich bejahe das, und bin fast schon enttäuscht, als Jana mir mitteilt, dass wir „bereits“ 2 cm geschafft hätten. Für mich fühlte es sich nämlich eher so an, als wäre unsere süße Maus bereits fast da. Ich denke nur daran, wie es heißt 1 cm pro Stunde und rechne die eventuelle Dauer hoch. Die Kleine kommt wohl doch erst am 5.5. zur Welt…am Welthebammen Tag. Wäre ja auch schön…aber früher wäre mir natürlich lieber.
Jana überlässt demnach uns die Entscheidung, ob wir nochmals nach Hause fahren wollen, oder im Geburtshaus verweilen möchten. Ansonsten würde sie aber selbst gerne nochmals nach Hause und zu Abend essen. Um 18 Uhr würde sie dann wieder da sein. Wir entscheiden uns dafür im Geburtshaus zu bleiben. Ich spüre, dass mir nicht wohl dabei wäre nochmal nach Hause zu fahren. Irgendwie fühlt es sich schon ganz schön intensiv an und ich frage mich wie heftig es eventuell noch wird, wenn das „erst“ 2 cm sind.
Die kommenden 2 Stunden arbeiten wir weiter an einem sich öffnenden Muttermund und lassen zudem ein Bad mit Lavendelduft ein. Da ich anfänglich eine Wassergeburt bevorzugt hatte, wollte ich diese Erfahrung gerne mitnehmen. Musste aber nach nicht allzu langer Zeit feststellen, dass das warme Wasser meinem Kreislauf nicht so gut bekommt. Die restliche Zeit nutze ich das, von der Decke hängende, Tuch über dem Bett. Während einer Welle ist mir sehr heiß und ich schwitze etwas, in der Pause fröstle ich sofort. Aber das kenne ich auch von mir, ohne ein Kind zur Welt zu bringen.
Die Wellen sind inzwischen in ihrer Intensität schon sehr fordernd. Alle 2 Minuten fast 60 Sekunden. Als Jana wieder da ist, tastet sie erneut meinen Muttermund und stellt überrascht fest, dass es nun bereits 9 cm sind. Sie informiert uns, dass sie nun die 2. Hebamme Julia Emmenecker anrufen und herbestellen würde, da es jetzt wohl nicht mehr so lange dauern würde.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Was zwischen der Info über den Anruf bei Julia und ihrem Eintreffen passiert ist, kann ich nicht mehr sagen. Ich weiß nur noch, dass ich mich kniend auf dem Boden vor dem Bett befinde, mein Mann sitzend auf dem Bett vor mir. Ich stütze mich auf ihn bzw. hänge mich an ihn, wenn eine Presswelle anrollt. Das tiefe und lange Tönen bewirkt, dass ich nicht einmal „aktiv“ Pressen muss, sondern meine Gebärmutter von ganz alleine nach unten schiebt. Es ist faszinierend und gar nicht schmerzhaft – dennoch unglaublich anstrengend. Nach gefühlt kurzer Zeit erklärt mir Jana, dass das Köpfchen bereits sichtbar ist. Ich soll gerne selber mal fühlen. Ich bin völlig überwältigt und kann es noch gar nicht glauben. Im Hintergrund läuft irgendwelche Trommelmusik, die sich mein Mann auf den MP3 Player gespielt hat. Hinterher erfahre ich, dass es das Lied von Vikings war, bei dem ein Mann aufs brutalste gefoltert wird. Egal…der Rhythmus und die Energie des Lieds sind für den Moment absolut passend. Auch Jana und Julia wippen mit geschlossenen Augen dazu. Mein Mann erklärt hinterher, wie toll die Energie im Raum war. Fast nach jeder Welle prüft Julia den Herzschlag der kleinen Maus mit dem Dopton an meinem Bauch und ist sehr zufrieden mit dem äußerst stabilen Verlauf. Die Kleine ist kein bisschen beeindruckt und ganz entspannt. Dann geht alles nochmal richtig schnell. Die letzten Presswellen sind dann doch noch etwas schmerzhaft, da sich dann doch nochmal alles ein wenig aufdehnen muss fürs Finale. Als Jana dann plötzlich meint, ich solle bei der nächsten Presswelle meine rechte Hand nach unten führen, damit ich die Kleine selbst in Empfang nehmen könne, wusste ich, dass es jetzt fast geschafft ist. In dem Moment, wo ich noch überlege, wie ich das koordinatorisch hinbekommen soll, mich sowohl zu stützen bzw. an den Partner zu hängen und gleichzeitig auch noch eine Hand für den Empfang der Tochter bereitzustellen, rollt auch schon die finale Welle an und die Kleine rutscht mir in die Hand. Jana hat natürlich unterstützend ihre Hand unter meiner gehalten. So liegt die Kleine also unter mir zwischen meinen Beinen und schreit ganz kurz auf. Es ist 20:24 Uhr. Nach etwa 7 Stunden im Geburtshaus ist es also geschafft.
Also doch schneller, als anfangs über die durchschnittliche Öffnungsgeschwindigkeit eines Muttermundes hochgerechnet, kommt sie halt nicht am Welthebammentag zur Welt, aber zur Freude meines Mannes am internationalen Star Wars Tag 4.5.2020.
Im nächsten Moment liege ich auch schon im Bett und Jana legt sie mir auf den Bauch für intensives Bonding. So liegen wir einige Zeit – genießend und voller Glück – wartend, dass die Nabelschnur fertig auspulsiert und die Plazenta geboren werden will. Leider ist die Nabelschnur so kurz, dass die Kleine nicht ganz bis zu meiner Brust kommt. Die Kleine schaut schon ganz wach und neugierig. Wir sind verliebt.
Nach fast 1,5 Stunden ist die Nabelschnur dann auspulsiert. Mein Mann trennt die Nabelschnur durch und die Kleine kann endlich an meine Brust und trinken. Es funktioniert auf Anhieb. Ich bekomme Arnica C200, um die Ablösung der Plazenta zu unterstützen. Der erste Versuch, die Plazenta zu gebären, scheitert. Eine Stunde später ist sie dann aber soweit. Jana kontrolliert sie auf Vollständigkeit und entnimmt für uns eine Probe für die Nosodenherstellung.
Nachdem meine minimalen Geburtsverletzungen versorgt sind, frage ich Jana, ob ich mich duschen könnte. Ich bin nicht nur verschwitzt und etwas blutverschmiert, sondern auch mit dem ersten Stuhl unserer kleinen Tochter beschmutzt. Jana begleitet mich und stellt sicher, dass mein Kreislauf währenddessen stabil bleibt.
Jana macht noch die notwendige U1 Untersuchung und nimmt die Fußabdrücke der Kleinen. Im Anschluss darf die Kleine auch noch an die rechte Brust. Nach und nach werden alle Sachen zusammengepackt und wir machen erschöpft aber glücklich nach Hause auf.
Jana erklärt uns noch im Anschluss an die Geburt, dass sie die Gebärende normalerweise bei einer Muttermundöffnung von 2 cm standardmäßig wieder nach Hause schicken würde, da es sich gerade bei Erstgebärenden noch eine ganze Weile hinziehen wird. Sie hatte aber das Gefühl, dass es in unserem Fall schneller gehen könnte. Das konnte sie schon in der Art meiner Wehenarbeit sehen. Wir freuen uns, dass auch Jana und Julia die Geburt so schön empfunden und die ruhige Energie genossen haben. Zudem sind wir stolz über ihren Kommentar, dass sie nicht geglaubt hätten, dass das meine erste Geburt war. Es fühlte sich auch einfach nur natürlich an und mein Körper wusste die ganze Zeit was für uns am besten ist.
Abschließend ist zu sagen, dass wir eine Geburt erleben durften, die wir uns schöner nicht hätten wünschen können. Und dafür hat das Geburtshausteam und die Atmosphäre im Geburtshaus, neben unserer eigenen Vorbereitung, den größten Teil dazu beigetragen. Gerade in der doch sehr ungewöhnlichen und schwierigen Corona Situation sind wir froh, dass wir unsere Vorstellung der Geburt 1 zu 1 umsetzen konnten und mein Mann von Anfang bis Ende dabei sein konnte. An den, durch Mundschutz verdeckten Gesichtern, von Jana und Julia hatte ich mich nicht gestört – eigentlich ist mir persönlich das überhaupt nicht aufgefallen, war ich doch etwas abgelenkt bzw. anderweitig beschäftigt. Mit der Krise wird dort sehr gut umgegangen und die nötigen Vorkehrungen, ohne dass das Wohlfühlgefühl darunter leidet, getroffen.
Für uns steht fest, auch die zweite Geburt werden wir im Geburtshaus erleben – solange alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Danke an alle, die für uns da waren und unsere Geburt zu einem richtig schönen Erlebnis gemacht haben, an das wir uns sehr gerne zurückerinnern.