Amelie

Ende August erfuhr ich dass ich schwanger bin. Neben der Vorfreude ließ aber die Angst vor der Geburt nicht lange auf sich warten. „Wie soll es nur möglich sein da unten ein Baby rauszupressen ohne vor Schmerz zu sterben?“ dachte ich mir. Die Tatsache dass es vor mir bereits dutzend Frauen geschafft haben, ignorierte ich und beruhigte mich damit, dass es die Möglichkeit gibt sich eine PDA verabreichen zu lassen um die ganze Sache so wenig wie möglich mitzubekommen. -Ein für mich jetzt, sehr trauriger Gedanke-. Sogar über einen geplanten Kaiserschnitt dachte ich nach. Die ersten Monate beschäftigte ich mich mit allem rund um das Thema Baby: Namensideen, süße Baby Kleidung mit Tiermotiven, Kinderwagen und co. Ich wollte so gut wie möglich vorbereitet sein, nur die Geburt selbst verdrängte ich immer noch. Täglich meditierte ich, machte Yoga, versuchte entspannt zu bleiben, aus dem tiefen Glauben heraus: Entspannte Schwangerschaft, entspanntes Baby :-).

Eines Tages stieß ich durch ein YouTube Video auf „Hypnobirthing“ und zum ersten Mal fing ich bewusst an mich damit auseinander zu setzen, was Geburt eigentlich bedeutet. Wie unfassbar magisch dieser Prozess ist und dass es eine sehr schöne Erfahrung sein kann. Neben der bestehenden Angst baute ich jeden Tag ein Stück weit mehr Vertrauen auf, Vertrauen, dass mein Körper als Frau dazu bestimmt ist ,ein Kind auf natürlichem Wege zur Welt zu bringen. Dass eine Geburt schmerzfrei sein kann (wie in diversen Hypnobirthing Büchern beschrieben wird) glaubte ich zwar immer noch nicht, aber der Gedanke: Jede Wehe als etwas Positives zu sehen, etwas dass dich deinem Kind jedes mal ein Stück näher bringt, half mir unheimlich dabei die bevorstehenden Schmerzen anzunehmen. *Für alle Frauen die den folgenden Text lesen: mit dem Wort “Schmerz“ möchte ich niemandem Angst machen, es ist für mich lediglich eine Beschreibung für ein für mich nicht angenehmes Gefühl*. Krankenhäuser konnte ich noch nie leiden, war selbst nie Patientin *auf Holz klopf* und konnte an einer Hand abzählen, wie oft ich als Besucherin da war. Meinen ersten Besuch im Krankenhaus in Form einer Geburt zu erleben, gab mir kein gutes Gefühl. Zufälligerweise -oder man könnte meinen es war Schicksal- sprach einer meiner Kollegen in der darauf folgenden Woche begeistert über das Thema Hausgeburten und Geburtshaus, da seine Mutter viele Jahre lang in einem Geburtshaus gearbeitet hatte. Zum ersten mal fing ich also an über das Konzept des Geburtshauses zu recherchieren und freundete mich immer mehr mit dem Gedanken an. Die Tatsache, dass keine Ärzte vor Ort sind, machte mir Anfangs oft Angst und ließ mich an meiner Entscheidung zweifeln. Ich entdeckte, daß das Geburtshaus in Tübingen in unmittelbare Nähe zur Klinik war. Mein Vertrauen , dort eine schöne Geburt erleben zu können wuchs und ich entschloss mich das Geburtshaus zu kontaktieren. Zufälligerweise arbeitete dort Maike als Hebamme, sie war eine Bekannte aus der Schulzeit. Maike bot mir an die Geburt zu begleiten. Nach einem Besuch und einem Erstgespräch war ich überzeugt: Hier würde ich gerne mein Baby bekommen! Die schöne Atmosphäre gab mir einfach ein absolut Vertrautes und heimisches Gefühl. An ein Krankenhaus war kaum mehr zu denken und die steigenden Corona Zahlen bestärkten unsere Entscheidung umso mehr.

Die Wochen vergingen, die Schwangerschaft war immer noch unbeschwert und komplikationslos und neigte sich dem Ende zu. Die letzten zwei Wochen wünschte ich mir jedoch, dass es endlich los geht. Der riesige Bauch fing an sich mit Streifen zu verkleiden, Bewegung mied ich und von gutem Schlaf war auch nicht mehr die Rede. Am 6. Mai, 4 Tage nach dem errechneten Termin, ging es um halb 5 Morgens mit den ersten Wehen los. Völlig aufgeregt und mit großer Vorfreude, zählte ich mit meiner App von unserem Bett aus die Abstände. Ich hatte von vielen Geburtsverläufen gelesen. Ich hatte absolut keine Ahnung wie ich die Schmerzen einordnen sollte und was mir, der sich dauernd wechselnde Abstand zwischen den Wehen sagen wollte. Kommt sie in 2 Stunden, in 6 oder vielleicht sogar morgen?. Eine Hausgeburt würde ich mir auf jeden Fall nicht zutrauen! Da ich noch nie Periodenschmerzen oder ähnliches hatte, waren die Anfangswehen bereits deutlich spürbar für mich. Ich informierte Maike und fragte sie, ob sie vorbei kommen könne. Die nächsten 2-3 Stunden änderte sich die Intensität der Wehen kaum. Maike kam gegen 11 Uhr vorbei und versuchte erfolglos den Muttermund zu tasten. Etwas enttäuscht saß ich da und wusste nicht wie es nun weiter geht. Nicht zu wissen wie lang sich das alles zieht, verunsicherte mich . Den Tag über blieben die Wehen teilweise aus, dann kamen sie wieder, blieben dann stundenweise aus. Ich versuchte erfolglos ein paar Nickerchen zu machen, aber etwas zu „verpassen“ hielt mich davon ab. Die Kraft hätte mir am Ende nicht geschadet :-).

Maike und ich bleiben den restlichen Tag in Kontakt und ab 21 Uhr merke ich, dass die Wehen stärker wurden. Ich musste schon deutlich mitatmen, bewege mich durch die Wohnung, lehnte mich ans Sofa und an den Wickeltisch. Das war alles gut, Hauptsache nicht liegen. Mein Partner fragte mich, wie er helfen kann. Mir fiel absolut nichts ein, weil ich das Gefühl hatte, dass nur ich und die richtige Bewegung mich momentan weiter bringt. Gegen 23:30 Uhr meldete ich mich bei Maike und vereinbarte mit ihr, dass wir uns um 1 Uhr im Geburtshaus treffen. Zu diesem Zeitpunkt reichte mitatmen nicht mehr aus und ich begann bereits zu tönen. So wie ich es geübt hatte, tief und ruhig in die Lunge einzuatmen. Die Treppen runter zum Auto waren hart. Ich hatte Angst, dass mich eine Wehe auf dem Weg erwischt und fühlte mich unwohl bei dem Gedanken, dass die nächste Wehe nicht mehr in meinem geborgenen zuhause stattfinden würde. Die Autofahrt von 20 min und gezwungenermaßen sitzen zu müssen macht es mir schwer. Zu diesem Zeitpunkt schaffte ich es jedoch noch, jede Wehe willkommen zu heißen und die Nächste zu begrüßen. Der Schmerz wurde intensiver und sie kamen bereits alle 5 min. Mein Partner , weil er ja schon 10 Kinder geboren hat ;-), meinte wir sind zu früh dran. Zuvor dachte ich immer dass ich den aktuellen Fortschritt der Geburt allein durch mein Gefühl abschätzen könne, erkannte aber ,dass ich doch mehr „Kontroll-Freak“ bin als ich dachte und hoffte auf Auskunft von Maike, was die Öffnung meines Muttermundes betraf.

Im Geburtshaus angekommen ist Maike bereits da und hat das Licht gedämmt und Kerzen angezündet. Genauso schön und entspannt wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich fühle mich direkt wohl und konnte die Angst, eine ungeplante Hausgeburt zu erleben, loslassen. Es war halb 2 und Maike prüfte den Muttermund, drei Zentimeter. Naja, ich hatte mir mehr erhofft. Ein Zentimeter pro Stunde – sagt man. Sieben Zentimeter fehlten also noch.

„Er hatRecht, wir sind hier also noch eine Weile“, dachte ich mir. Aufgrund meines Schlafmangels war ich schon ziemlich erschöpft und mein Partner nickte bereits ein. Maike ließ mir eine Wanne einlaufen. Ich hatte immer den Wunsch einer Wassergeburt, da ich sehr gerne und ausgiebig bade, stellte ich es mir im Wasser einfach besonders entspannt vor. Während meine zusammengestellte Playlist “Geburt“ auf Spotify läuft, werden die Wehen werden immer stärker und stärker. Ich tönte und wechselte die Positionen. Unglaublich wie sehr das helfen kann, die Kontraktionen verschieden intensiv wahrzunehmen. Da unser Baby durch das heiße Bad sehr aktiv wurde, hat mich Maike gebeten nach ca. einer Stunde aus dem Wasser zu kommen. Das wars also mit meiner geplanten Wassergeburt! dachte ich. Da ich mir aber auch oft genug gesagt habe: Geburt kann man nicht planen, machte mir das nichts aus. Ich checkte die Uhrzeit auf meinem Handy, das war das letzte mal. Die nächsten Stunden konnte ich mich nur auf mich selbst konzentrieren. Ich begann Respekt vor der nächsten Wehe zu haben, sie Willkommen zu heißen gelang mir nicht mehr. Die Pausen dazwischen waren einfach zu kurz und ich schaffte es nicht mehr mich richtig zu entspannen. Um kurz vor drei prüft Maike erneut meinen Muttermund. Sieben Zentimeter! Viel mehr als erwartet ! Ich tippe darauf, dass ich mit der Ankunft im Geburtshaus einfach losgelassen habe und mein Körper sich entspannt hat -oder wars doch die Wanne? :-). Ab diesem Zeitpunkt verlor ich mein Zeitgefühl komplett. Ich kam an meine Grenzen und dachte daran, wie uns im Geburtsvorbereitungskurs gesagt wurde, dass die meisten Frauen bei den letzten Zentimetern der Öffnung denken dass sie das alles nicht schaffen. Genauso gings mir. Ich sagte Maike, dass ich nicht mehr kann, verfluchte mich innerlich auf die Idee gekommen zu sein, irgendwo hin zu gehen wo es keine Schmerzmittel gibt, und übergab mich zwischendrin und frage mich ob ich das Ganze hier auch nur halbwegs überleben würde. Dass ich das kein zweites mal mache, stand -zu diesem Zeitpunkt zumindest- fest ;-).

Ich war bereits seit fast 24 Stunden wach. Aus Tönen wurde Schreien, immer lauter und lauter. Zwischen den Wehenpausen fragte ich mich: „Wie können hier drüber Menschen schlafen, zahlen die dafür weniger Miete in Tübingen?“. Nie habe ich nachvollziehen können, was das für ein Schmerz sein muss, dass viele Frauen brüllen, aber in diesem Moment habe ich verstanden, dass es nicht unbedingt der Schmerz ist, der einen zum Schreien bringt, es erleichtert einen einfach unheimlich und lenkt vom eigentlichen Gefühl ab. Am Bett, im Vierfüßlerstand angelehnt, massierte Maike meinen Rücken und ich lehne mich an meinen Partner an. Maike ließ auf meinen Wunsch hin die Fruchtblase platzen. Den Kopf unseres Babys zu spüren gab mir wieder die Kraft weiter zu machen. Es war bereits 4:30 Uhr und dann ging alles ganz schnell. Dieser unfassbare Druck nach unten, ließ mich spüren, dass es bald soweit sei. Ein paar Presswehen später und mit Stolz und Dankbarkeit meinem Körper gegenüber, am 07.05 um 5.07 Uhr, war sie endlich da und lag auf meinem Bauch. Wir konnten kaum glauben, wie unfassbar schön sie ist. Zum ersten mal haben wir erfahren , was es bedeutet von der ersten Sekunde an bedingungslos zu lieben.


Zwei Wochen später und zum Thema „Ich mach das nie wieder“

Ich weiß im Nachhinein , dass ich absolut nichts anders machen würde (außer der Zeit, die ich noch zum schlafen hatte das nächste mal wirklich zu nutzen). Sogar über eine zweite Geburt, in Form einer Hausgeburt, denke ich nach…….

Wir danken vor allem der lieben Maike ! Deine Unterstützung und Betreuung hat unsere unvergessliche Geburt erst möglich gemacht. Ebenso danken wir ganz herzlich der Wochenbetthebamme und selbstverständlich dem Geburtshaus in Tübingen. Das war mit Abstand die intensivste Erfahrung unseres Lebens.

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