Noah

Am Freitag ging es los: Kurz nach dem Frühstück hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Also ab auf die Toilette. Dort stellte ich fest, dass die Zeichnungsblutung eingesetzt hatte. Es war schon irgendwie ein kleiner Schreck. Der Griff zum Telefon war das Nächste: Zuerst habe ich Antje vom Geburtshaus angerufen. Leider hatte sie dieses Wochenende frei und riet mir bei Chris anzurufen und schon mal vorzuwarnen, was ich auch tat. Dann habe ich mit Shanti telefoniert. Mittags hätten wie sowieso einen Termin gehabt. Bei Shanti wurde mittags ein CTG geschrieben und der Muttermund untersucht. Dieser war ein klein wenig geöffnet und sie konnte mit dem Finger schon das Köpfchen ertasten. Ansonsten ist an diesem Freitag nicht viel passiert. Wir waren gemütlich Kaffee trinken und spazieren. Und auch am Samstag war noch nicht wirklich viel los, auch wenn mir klar war, dass die Geburt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Kleinere Wehen waren schon immer mal wieder zu spüren, aber in sehr unregelmäßigen Abständen.
Sonntag, 11. Oktober 2020, 03:28 Uhr
In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist dann um 03:28 Uhr die Fruchtblase geplatzt. Ein ganz schräges Gefühl. „Toga, Toga hol‘ mir Handtücher, die Blase ist geplatzt, schnell. Ich lauf aus.“ – damit hab ich den armen Mann aus dem Schlaf gerissen und unser Abenteuer eingeläutet. Um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht täusche, haben wir den Teststreifen genutzt. Eindeutig Fruchtwasser! Da das Fruchtwasser klar war und nicht gerochen hat, und es ja auch mitten in der Nacht war, habe ich mich umgezogen und gut mit Handtüchern eingedeckt und versucht nochmal ein wenig zu schlafen und zu entspannen. (O-Ton Antje: Wenn du mitten in der Nacht anrufst, dann hast du eine müde Hebamme. Solange du dich gut fühlst und alles normal ist darfst du ruhig bis morgens schlafen und dann erst anrufen. Dafür gibt es ja auch die Tabelle.)
An Schlaf war allerdings nicht wirklich zu denken. Kurz nach dem Blasensprung haben die ersten Wehen eingesetzt. Die waren nicht übermäßig stark oder schmerzhaft, aber doch deutlich zu spüren. Außerdem war ich doch sehr aufgeregt. Da die Wehen auch stärker wurden habe ich mich dazu entschlossen bei Chris anzurufen.
Um 05:30 Uhr haben wir uns im Geburtshaus getroffen und Chris hat den Muttermund untersucht. So etwa 2 cm hieß es. Aber die Wehen seien noch viel zu wenig und zu schwach. Ich fand die Wehen allerdings schon ordentlich. Nun ja, wirklich veratmen musste ich sie noch nicht. Also sind wir wieder Heim gefahren und haben gewartet. Gegen Mittag wurden die Wehen allerdings deutlich weniger und hörten schließlich quasi ganz auf. Um die Wehen wieder in Gang zu bringen und meinem Körper etwas auf die Sprünge zu helfen habe ich von Chris Quarz bekommen. Alle 15 Minuten eine Messerspitze unter die Zunge. Und wenn das nicht geholfen hätte, hätte Toga mir einen Rizinuscocktail mischen dürfen. Aber das war zum Glück nicht nötig. Das Quarzpulver hat seinen Zweck voll und ganz erfüllt. Die Wehen wurden immer stärker. Zum Schluss stand ich im Schlafzimmer am Beistellbettchen, habe mit meiner Mutter telefoniert und Wehen veratmet. Meine Mutter hat am Telefon die Zeitabstände zwischen den Wehen und die Dauer der Wehen gestoppt. Bei einem Wehenabstand von ca. 3 Minuten und einer Dauer von einer guten Minute habe ich dann wieder mit Chris telefoniert und wir haben uns im Geburtshaus verabredet.
Um 15:39 Uhr haben wir uns dann wieder im Geburtshaus getroffen. Die Wehen kamen jetzt immer schön regelmäßig. Ich durfte in die Badewanne und wir haben verschiedene Positionen durchprobiert: Stehen, sitzen, auf dem Ball. Und auch wieder entspannen im gemütlichen Bett. Dann sind wir gelaufen. Immer wieder am Haus entlang und die Außentreppe hoch und wieder runter. Da sich der Muttermund nicht weiter geöffnet hatte, durfte ich nochmal in die Badewanne. Um die Wehen etwas anzukurbeln habe ich wieder Quarz bekommen. Auch dieses Mal verfehlte das Pulver seine Wirkung nicht und die Wehen wurden deutlich stärker. Die Wehen hatten laut Chris jetzt die richtige Intensität. Geburtswehen. Die Schmerzen waren schon enorm, doch ich konnte mich gut auf die Wehen einlassen und atmen. Aus dem Geburtsvorbereitungs-Workshop von Reyhaneh wusste ich, dass ich dafür zuständig war, den Kleinen im Bauch mit Luft zu versorgen. „Solange ich gut atme hat der Kleine keine Not“.
Leider zeigte sich bei der nächsten Untersuchung, dass der Muttermund immer noch nicht weiter aufgegangen war. Mittlerweile war es schon später Abend, so gegen 22:00 Uhr. Nichts von dem, was wir bis dahin schon alles versucht hatten, hatte geholfen die Geburt weiter voran zu treiben und den Muttermund zu öffnen. Chris beratschlagte sich mit einer zweiten Hebamme. Aber mehr Ideen um voran zu kommen hatte sie auch nicht.
Um meine Kräfte nicht zu sehr zu erschöpfen, auf Grund der großen Schmerzen und weil nichts weiter gehen wollte, fiel die Entscheidung in die Klinik zu fahren. Chris fuhr mit ihrem Auto vor und wir hinterher. An der Klinik angekommen, so gegen 22:30 Uhr, musste Toga draußen warten. Völlig bescheuert und ohne Stütze war ich auch nicht mehr in der Lage zu gehen. Die Schmerzen waren zu stark. Und die Knie knickten mir immer wieder weg. Statt dass die Wehen nach unten auf den Muttermund wirkten, zogen sie seitlich in die Leisten und Bänder. Die Wehen waren schrecklich. Zeitweise habe ich mir gewünscht einfach ohnmächtig zu werden um die Schmerzen nicht länger aushalten zu müssen. Ich konnte die Wehen nicht mehr richtig veratmen und Toga hat mein komplettes Gewicht auffangen und halten müssen. Ohne meinen starken Felsen hätte ich das alles nicht geschafft.
Im Kreissaal angekommen (und zum Glück dann auch mit Toga) wurden die Wehen erstmal gestoppt um eine PDA legen zu können. Vor der PDA hatte ich große Angst, obwohl ich wahnsinnig erschöpft war. Die Hebamme und die Ärztin haben mich verstanden und versucht, mir meine Angst zu nehmen. Die PDA war jetzt einfach die letzte Möglichkeit eine spontane Geburt zu ermöglichen: Dadurch sollte sich alles soweit entspannen, dass der Muttermund eventuell noch aufgehen könnte. Ohne die Schmerzen der Wehen und mit der PDA konnte ich endlich ein wenig ausruhen. Auch Toga war völlig erschöpft und konnte eine Weile auf einer Liege neben mir schlafen. Die Wehen wurden unter der PDA mit einem Wehentropf wieder angeregt. Leider blieb die erhoffte Wirkung aus. Gegen 05:30 Uhr wurde bei der Untersuchung das gleiche festgestellt wie schon die Male davor: der Muttermund hat nur 2 cm. Und durch den langen Druck war das Gewebe auch nicht mehr in der Lage dazu, sich zu öffnen. Damit war dann klar, dass ich den Kleinen nicht auf natürliche Weise zur Welt würde bringen können.
Ein Kaiserschnitt war für mich zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen sondern lediglich die letzte Option. Ich war einfach nur froh, dass es dem Kleinen trotz des bis hierhin schon echt langen Kampfes, noch immer gut ging und er wenig Stress hatte. Die Herztöne gingen zwar etwas hoch, aber ich wusste immer, dass es ihm gut geht.
Um 5:30 Uhr wurde ich Richtung OP geschoben. Toga durfte die ganze Zeit mit dabei sein. Die Hebamme, die mich die letzten Stunden im Kreissaal schon betreut hatte, war auch noch da, obwohl eigentlich schon fast Schichtwechsel war. Die PDA wurde von der Ärztin die ich auch bereits kannte hochgefahren. Mit einem Eis-Spray wurde kontrolliert, bis wohin ich noch Gefühl im Leib hatte. Dann wurde das Tuch vor meinem Bauch aufgespannt und bei mir flossen die Tränen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil ich jetzt gar keine Kontrolle mehr über die Situation hatte. Toga war die ganze Zeit bei mir und hat mich gestützt. Während der Wehen vor allem körperlich und dann mental. Ich war nie allein und ich wusste das.
Um 6:01 Uhr wurde der Kleine auf die Welt geholt. „Schauen Sie, da kommt ihr Kind“. Meine ersten Gedanken waren „Aha, und das ist jetzt also meins!?“. Laut Toga hat der Kleine gleich mal kräftig geschrien. Ich habe das nicht wirklich mitbekommen. Ich weiß noch, dass ich Kopfschmerzen hatte. Kurze Zeit später kam Toga mit dem Kleinen zu mir und ich konnte ihn anschauen. Er war wunderschön mit riesigen blauen Augen. Und ich war unglaublich stolz! Auf mich und auf ihn und auf Toga!
Ganz ehrlich, während der Geburt habe ich mich schon gefragt warum um alles in der Welt einige Frauen mehr als ein Kind haben. Völlig unvorstellbar! Aber zum Glück gibt es Hormone! Und wenn dann ein nächstes Kind kommt, dann würde ich alles wieder genauso machen – nur mit einer Spontangeburt im Geburtshaus, am liebsten in der tollen großen Badewanne!

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